: Connecting People
In Bochum könnte der Werbespruch von Nokia zur Parole eines betriebsübergreifenden Arbeitskampfs werden
Etwa vier von zehn Mobiltelefonen, die irgendwo auf der Welt verkauft werden, sind Nokia-Geräte. Mit einem Marktanteil von zuletzt 39 Prozent hat der finnische Konzern etwa so viel wie die Konkurrenz von Samsung, Motorola und Sony Ericsson zusammen. Neben Handys stellt Nokia andere Produkte im Bereich der Telekommunikation her und liefert Zubehör für die Automobilindustrie. Im Jahr 2006 machte Nokia einen Gewinn von 3,6 Milliarden Euro. Für das dritte Quartal 2007 vermeldete man einen Gewinnzuwachs von 85 Prozent auf 1,56 Milliarden Euro. Weltweit beschäftigt Nokia etwa 113.000 Mitarbeiter, davon bislang 3.300 in Deutschland, die in Bochum und an drei weiteren Standorten beschäftigt sind. Der Firmensitz ist im finnischen Espoo. Gegründet wurde die Firma im Jahr 1865 und produzierte anfangs Papiererzeugnisse, später Gebrauchsgegenstände wie Gummistiefel und Reifen. TAZ
VON PASCAL BEUCKER UND NICOLA LIEBERT
Die Wut wächst. Die Schockstarre, die die Beschäftigten des Bochumer Nokia-Standorts zunächst erfasst hatte, wich am Tag danach dem Zorn. Gewerkschafter demonstrierten vor den Werkstoren. „Wer nicht produziert, wird blockiert“ und „Warnstreik“ stand auf Plakaten. Auch Beschäftigte anderer Bochumer Unternehmen schlossen sich dem Protest der Nokia-Mitarbeiter an. Im Falle eines Arbeitskampfs bei Nokia werde auch bei Opel kein Auto mehr vom Band laufen, versprach ein Opel-Betriebsrat. „Connecting People“, „Leute verbinden“, lautet der Werbespruch von Nokia. In Bochum könnte er eine ganz neue Bedeutung erhalten.
Auch eine von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers angeführte Delegation der nordrhein-westfälischen Landesregierung besuchte am Mittwochnachmittag die Nokia-Arbeiter. „Ich bin nicht bereit, den Kampf aufzugeben“, sagte Rüttgers und schimpfte auf die Konzernführung: „Ich habe kein Verständnis dafür, was diese Herren hier versuchen.“
Von einer Einstellung der Produktion wären etwa 2.000 der rund 2.300 festangestellten Mitarbeiter betroffen. Hinzukämen nach Angaben der IG Metall bis zu 1.000 Leiharbeiter. Außerdem gelten 1.000 bei Zuliefererfirmen angesiedelte Arbeitsplätze als gefährdet.
Noch vor Weihnachten hatten die Bochumer Nokia-Arbeiter kräftig Sonderschichten und Überstunden einlegen müssen – während der Konzernvorstand seine erst am Dientag bekannt gegebene Entscheidung über die Schließung traf. Dabei steht Nokia ökonomisch glänzend da und weist eine operative Gewinnmarge von fast 15 Prozent auf. Aber das reicht der Konzernführung nicht. Für die nächsten Jahre strebt sie eine Marge von 16, 17 Prozent an. „Wir fühlen uns verarscht“, schimpft die Betriebsratsvorsitzende Gisela Achenbach.
Nur 280 Bochumer Nokia-Mitarbeiter können hoffen, dass ihr Arbeitsplatz erhalten bleibt. Sie arbeiten in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung oder in einem Bereich, der Handylösungen für die Autoindustrie herstellt. Für diese Bereiche sucht Nokia einen Käufer. Denn in Deutschland will man sich künftig auf Vertrieb, Forschung und Entwicklung sowie den Ausbau des Internetangebots beschränken.
Eindringlich warnte Rüttgers Nokia vor einem Image als „Subventionsheuschrecke“. Zwischen 1995 und 1999 kassierte der finnische Handyhersteller mehr als 60 Millionen Euro an regionalen Fördermitteln von Land und Bund. Hinzukamen 28 Millionen Euro, die bis 2007 aus Bundesmitteln an Forschungszuschüssen gewährt wurden. Auch die Stadt Bochum steuerte Millionen bei. So baute die vom Konjunkturwandel arg gebeutelte Ruhrgebietsstadt (die Arbeitslosenquote beträgt 10,2 Prozent) eigens Straßen und Kanäle für Nokia. Die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Christa Thoben (CDU) will nun prüfen lassen, ob das Land nicht zumindest einen Teil der Fördersumme zurückfordern kann. Konkret geht es um 17 Millionen Euro, die mit der Verpflichtung überwiesen worden waren, mindestens 2.856 Arbeitsplätze in Bochum sicherzustellen. Aber die Chancen, das Geld zurückzubekommen, stehen nicht gut. Denn die „Bindewirkung“ der Verpflichtung lief am 15. September 2006 aus.
Sechs Monate später gab Nokia bekannt, im rumänischen Cluj ein neues Werk zu bauen. In die gerade für 60 Millionen Euro fertiggestellte Fabrik, in der zunächst 500, später bis zu 3.500 Mitarbeiter beschäftigt werden sollen, soll der Großteil der Produktion aus Bochum verlagert werden. Ein weiterer Teil der bisherigen Massenfertigung soll zum Werk Komáron in Ungarn wandern. Im finnischen Nokia-Werk in Salo sollen die Spitzenprodukte gefertigt werden.
In Bochum produziert Nokia seit 1989. Wenn der Konzern wie angekündigt bis Mitte dieses Jahres das Werk dichtmacht, werden in der Bundesrepublik keine Mobiltelefone mehr produziert. Erst im vergangenen Jahr hatte die amerikanische Motorola ihre Handyproduktion in Flensburg aufgegeben, von den ehemals 3.000 Arbeitsplätzen blieben noch rund 200 übrig. Im Herbst 2006 hatte der taiwanesische Konzern BenQ die erst ein Jahr zuvor übernommene ehemalige Handysparte von Siemens mit Standorten in Kamp-Lintfort, Bocholt und München geschlossen. Auch hier waren rund 3.000 Mitarbeiter betroffen. Rund ein Drittel von ihnen hat bis heute keinen neuen Arbeitsplatz finden können.
Nokia wäre nicht der einzige Fall, dass ein Unternehmen staatliche Zuwendungen für Arbeitsplatzgarantien kassiert und dennoch Stellen streicht. So hat das Land Berlin den koreanischen Konzern Samsung mit 30 Millionen Euro gefördert – unter der Bedingung, dass die Arbeitsplätze fünf Jahre lang erhalten bleiben. Die Frist hielt Samsung ein. Ende 2005, nur einen Tag nach Ablauf der Frist, war Schluss. Die Produktion wurde nach Ungarn verlagert. Lediglich der Sozialplan für die 710 Berliner Mitarbeiter wurde nach Protesten ausgeweitet. „Wir sind jederzeit bereit, auch künftig Hilfen zu gewähren, wenn damit zukunftsfähige Arbeitsplätze verbunden sind“, hatte Bürgermeister Klaus Wowereit vergebens gefleht. Ähnlich war es im Fall der Fiat-Tochter CNH, die für ihr Baumaschinenwerk 70 Millionen Euro Zuschüsse bekam. Im November 2006 wurde das Werk geschlossen. Ein monatelanger Streik und die Drohung des Berliner Senats, die Subventionen zurückzufordern, sorgten immerhin dafür, dass CNH 30 Millionen Euro an Abfindungen zahlte. Ein Teil der Arbeitsplätze wurde von einem neuen Investor übernommen.