piwik no script img

Archiv-Artikel

„Warum nicht einfach zuhören?“

Isabelle McEwens Inszenierung des pornographischen Romans „Hure“ schockierte viele Zuschauer. Denn die Freier, die dort auftauchten, ähnelten weniger professionellen Pornodarstellern als dem Mann von nebenan. Nun hat McEwen ein Stück über die Reaktionen gemacht: „Revisiting Hure“

ISABELLE MC EWEN, 54, freie Theaterregisseurin in Hamburg. 2003 inszenierte sie erstmals das Stück „Hure“ nach dem Roman von Nelly Arcan.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Frau McEwen, Ihre Inszenierung „Hure“ hat das Hamburger Publikum sehr gemischt aufgenommen. Ist die nüchterne Sicht auf Prostitution noch immer nicht gesellschaftsfähig?

Isabelle McEwen: Es ist fast immer eine Schwarz-Weiß-Darstellung: Entweder sind es die armen Frauen oder genau das Gegenteil. Aber die Leute haben Schwierigkeiten damit, dass es sehr komplex ist, dass jede Frau etwas anderes dabei erlebt, von der Studentin, die es als Edelprostituierte ganz gern gemacht hat bis hin zu den schlimmsten Sachen mit Frauen, die verschleppt werden.

Die Reaktionen müssen ziemlich extrem gewesen sein, wenn Sie zwei Jahre später ein neues Stück daraus machen.

Es gab eine Riesendiskrepanz zwischen dem Schock mancher Leute, vor allem junger, und unserer Freude am Projekt. Es gab so schöne Begegnungen dabei, oft gerade dort, wo man sie nicht erwartete. Diese Ruhe, daraufzugucken, ohne zu urteilen. Das war sehr befreiend. In meinem neuen Stück wird es ein Interview mit mir und der Hauptdarstellerin zu unseren Erfahrungen mit dem Projekt geben, dazu Szenen aus aus dem Stück selbst.

Ihr Theaterpublikum hatte diese Ruhe des einfach Daraufguckens nicht?

Die Leute hatten Probleme mit der Realität der Bilder. Wenn man pornographische Bilder sieht, sind es meist ausgesuchte Darsteller, die ganz gut aussehen, das ist nicht der Mann von Nebenan, der Nachbar, Onkel, Gemüsehändler. Ich hatte mir mit einer Annonce „Darsteller für Kunstporno gesucht“ normale Leute gesucht und habe die Begegnung so inszeniert, wie sie auch draußen stattfinden.

Aber die Darsteller verstanden sich als Teil eines Kunstprojekts?

Manche hat es sehr interessiert, wie diese Szenen im Stück thematisiert wird – und manche überhaupt nicht. Manche kamen, weil sie umsonst Sex haben konnten.

Wer interessiert Sie mehr: Die Freier oder die Prostituierten?

Ich habe den Blick umgekehrt: Normalerweise stehen die Frauen im Mittelpunkt, aber wir haben aus der Perspektive der Frau gedreht, die die Männer bedient und damit ist die Kamera auf die Männer gerichtet.

Nelly Arcan ist nicht die erste, die radikal über weibliche Sexualität schreibt, vor ihr haben das bereits Christine Angot und Catherine Millet getan. Was hat Sie an Arcans Text gereizt?

Ich finde, dass es ein sehr wahrhaftiger und zugleich ein sehr poetischer Text ist. Mich hat die Auseinandersetzung mit Männer- und Frauenrollen interessiert. Es geht in Arcans Roman um Prostitution, aber es geht auch generell um die Begegnung von Männern und Frauen, darum wie sich die Frauen im Blick der Männer suchen.

Sind diese Texte mehr als eine Mode, die sich gut verkauft, weil Sex sich immer gut verkauft und je drastischer, desto besser?

SEX, REVISITED

Es sind vor allem Französinnen, die in den letzten Jahren pornographische Literatur geschrieben haben: Catherine Millet, Christine Angot – und der französischsprachige Roman „Hure“ der Kanadierin Nelly Arcan. Neu daran ist weniger die weibliche Perspektive, denn die weibliche Autorenschaft. Gemeinsam ist den Texten der mehr oder minder explizite autobiografische Ansatz: So hat Nelly Arcan keinen Zweifel daran gelassen, dass die Erfahrungen ihre Hauptfigur auf ihren eigenen als Kunststudentin und nebenberufliche Edelprostituierte basieren. Sexualität erscheint in ihrem Roman vor allem als destruktiv und die Gier der Freier als verkappter väterlicher Inzest. GRÄ

Es ist eine ganz eigene Stilrichtung, einer pornographischen Sprache, die Frauen entwickelt haben. Und es ist kein Wunder, dass Frauen begonnen haben, sich für diese Thema zu interessieren, über das Männer schon seit langem sehr viel reden und schreiben. Als Frau finde ich es extrem befriedigend, solche Texte zu lesen, völlig unabhängig davon, ob man eine ähnliche Sexualität hat oder nicht. Warum sollte man nicht einfach Zuhören?

Der Film, den Sie zum Stück gedreht haben, ist sehr positiv aufgenommen worden. Er hat sogar einen Preis beim Pornfilmfestival gewonnen.

Er ist aber auch bei ganz normalen Festivals gelaufen und das fand ich auch sehr schön. Natürlich hat er pornographische Elemente, aber es ist kein Pornofilm. Es ist eine Szene aus dem Roman, bei der eine Frau durch den Schnee läuft und zwei Männer, die man beim Sex sieht. Es ist eigentlich ein surrealistischer Film; die Frau spricht über Religion und ihre Angst vor den religiösen Bildern ihres Vaters.

Warum hat die Theaterinszenierung Anstoß erregt, der Film aber nicht?

Das frage ich mich auch. Es sind die gleichen Bilder. Ich kann es Ihnen nicht sagen.

„Revisiting Hure“: Premiere der Uraufführung im Hamburger Sprechwerk am 18. und 19.1 um 20 Uhr