Der unklare Feind

Die Werke von Exagenten stellen ihre Arbeit gemäß festgelegten Codes dar. Wer einen realistischeren Eindruck von der Welt der Geheimnisse haben will, so Eva Horn, muss Romane lesen

VON CHRISTIAN SEMLER

Wer auf Enthüllungsgeschichten über die Unfähigkeit unserer Geheimdienste hofft, wird in Eva Horns „Der geheime Krieg“ nicht fündig. Ihr Buch über „Verrat, Spionage und moderne Fiktion“ unternimmt vielmehr den Versuch, eine Art Strukturgeschichte des geheimdienstlichen Wissens, seiner Beschaffung wie seiner Verarbeitung zu entwerfen. Und dieser Versuch ist geglückt.

Eva Horn lehrt Literaturwissenschaften und deshalb schien es für sie nahezuliegen, die Geschichte der geheimdienstlichen Ermittlungen im Medium der Spionageliteratur darzustellen. Horns zentrale Kategorie ist die der „Fiktion“, eines Begriffs, den sie einem Erzählband des argentinischen Schriftstellers Jorge Luis Borges entlehnt hat. In Borges Begriff der Fiktion stecken Eva Horn zufolge die Fragen: „Was ist wirklich geschehen, was hätte auch anders sein können, was wäre geschehen, wenn, und was steckt dahinter“? Es gehe um die offene Wahl zwischen möglichen geschichtlichen Versionen.

Nur in der fiktionalen Beschreibung, die dem Leser versichert, nichts an der Geschichte sei real, dürfen Geheimnisse enthüllt, die Taktiken der Spionage und Konterspionage detailliert beschrieben, Verschwörungen aufgedeckt und die Maschen der Kontakte und Verbindungen aufgedröselt werden. Die Fiktion spricht zu uns dort, wo Erinnerungen von Exgeheimdienstlern oder offizielle Verlautbarungen sich den jeweils gültigen taktischen Code bei Veröffentlichungen fügen. Die Fiktion, realer als die Realität, kann ihrerseits Wirklichkeit verändern. Möglicherweise, so schreibt Eva Horn, „stellt nicht die Literatur die Welt der Geheimnisse dar, sondern verhalten sich Geheimdienste wie Romanautoren“.

Eva Horns Arbeit umfasst einen einführenden Teil, der das Thema Geheimnis und Verrat von den historischen Grundlagen her entwickelt. Sie zeigt uns ihren theoretischen Werkzeugkasten. Die folgenden Kapitel handeln von dem Formwandel der Beziehung von Geheimnis und Verrat in der Zeit des Imperialismus und Kolonialismus, des Ersten Weltkriegs, zur Zeit des Kalten Krieges, nach dem Kennedy-Mord bis hin zum 11. 9. 2001 und seinen globalen Folgen. Die Analysen sind durchweg scharfsinnig, erfordern einiges Mitdenken, sind gleichzeitig aber anschaulich und stets auf das ausgebreitete Material, also Dokumente, Erzählungen,Romane, Illustrationen, Fotos und Filmsequenzen bezogen. Entsprechend reich bebildert ist die Arbeit.

Zu den besten Ergebnissen des Horn’schen Unternehmens gehört ihre Darstellung des geheimdienstlichen Wissens. Im Gegensatz zu den Sozialwissenschaften, deren Objekt „die Gesellschaft“ ist, kennt die geheimdienstliche „Intelligence“ nur ein Objekt: den Feind. Deshalb, so Horn, ist „die Intelligence ein Wissen, das irreduzibel von der Gefahr und der List durchdrungen ist“. Den Auswertern, die von einer apologetischen Literatur als eine Art besonderer Spezies von Gelehrten dargestellt werden, fehlt es definitionsgemäß an der kommentierenden und korrigierenden Öffentlichkeit. Stets müssen sie auf der Hut sein, denn was sie studieren, kann Spielmaterial des Feindes sein, überall lauert Täuschung, der mit Gegentäuschung geantwortet werden muss.

Die Dienste müssen die Handlungen des Feindes verstehen und sie antizipieren lernen. Sie müssen sich von ihnen ein Bild entwerfen. Es gleicht ihren eigenen. Dieses spiegelbildliche Verfahren gerät nach Eva Horn in dem Moment in die Krise, wo ein imaginiertes klares Bild des Feindes nicht mehr ermittelt werden kann. Nach dem 11. 9. gab es zwar den Versuch einer islamischen Feinddämonisierung in Gestalt Bin Ladens, aber das eigentlich neue Element, die lose verbundenen, autonom agierenden terroristischen Netzwerke entziehen sich der nachrichtendienstlichen Feindbestimmung. Damit, so lässt Horn durchscheinen, haben Funktion und Arbeitsweise der bisherigen Geheimdienste ausgedient.

Dass Geheimdienste im Dunkeln arbeiten müssen, ist ein Gemeinplatz, der, so Eva Horn, allerdings in der Demokratie zum Problem wird. Denn Demokratien basieren auf Öffentlichkeit und der Bindung aller an demokratisch legitimierte Gesetze. Horn untersucht nicht im Einzelnen die Unmöglichkeit einer parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste. Sie stellt einfach, dem Philosophen Giorgio Agamben folgend, die Sphäre geheimdienstlicher Arbeit als Ausnahmezustand dar, als die andere Seite der parlamentarischen Demokratie, zu ihr gehörig, aber von ihr nicht assimilierbar.

Horns Arbeit fordert bei allen Verdiensten auch zum Widerspruch heraus. Was sie zur Figur des Partisanen zu sagen hat, hängt mit der historischen Rolle des Partisanentums im 20. Jahrhundert nur lose zusammen, die Verbindung zu ihrem Thema wirkt reichlich konstruiert. Wer mehr dazu wissen will, sollte Helmut Höges einschlägige Aufsätze lesen. Von der Geschichte des Kommunismus hat Eva Horn nur schemenhafte Kenntnisse, was ihrer Interpretation von Brechts Theaterstück „Die Maßnahme“ als Lehrstück nicht gerade förderlich ist. Aber auch wo die Autorin danebengreift, ist ihr Buch anregend und spannend zu lesen.

Eva Horn: „Der geheime Krieg. Verrat, Spionage und moderne Fiktion“. Fischer Taschenbuch, Frankfurt 2007, 542 Seiten, 14,95 Euro