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Archiv-Artikel

„Die Farbe des Tänzers zeigen“

Mit seinem Stück „With your eyes“ hat der israelische Choreograph Rami Be’er die erste gemeinsame Arbeit der neu geschaffenen Tanzcompagnie Nordwest in Oldenburg inszeniert. Ein Gespräch über das Bedürfnis nach Geschichten, politische Botschaften und das Arbeiten in Deutschland

RAMI BE’ER, 50, kam 1980 als Tänzer und Choreograph zur Kibbutz Contemporary Dance Company, deren künstlerischer Direktor er seit 1996 ist.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Herr Be’er, was war der größte Unterschied zwischen der Arbeit mit der Compagnie Nordwest und der mit Ihrer eigenen Kompanie, der Kibbutz Contemporary Dance Company?

Rami Be’er: Natürlich bin ich mit meiner Kompanie seit vielen Jahren vertraut, sie kennen mich, sie kennen meine Sprache und können sie sprechen. Als ich die Tänzer und Tänzerinnen aus Oldenburg und Bremen traf, war es für sie eine neue Sprache, die sie lernen mussten. Es war ein Prozess, am Anfang war es sehr neu und sehr seltsam für sie. Aber mit der Zeit ging es sehr gut.

Bei Ihrer Inszenierung am Oldenburger Staatstheater „With your eyes“ gibt es keine Hierarchie zwischen den Tänzern. Jeder hat Solopartien und ebenso welche im Ensemble. War dieser demokratische Ansatz eine der Schwierigkeiten?

Ich würde es nicht demokratisch nennen. Ich möchte das Maximum aus jedem Tänzer herausholen, und erreichen, dass jeder Tänzer das Eigene in seiner Bewegung und in meiner Choreographie ausdrückt. Es geht darum, die unterschiedliche Farbe jedes Tänzers in der Vielfalt des Ensembles zu zeigen. Es sind verschiedene Ebenen: Der Tänzer mit sich, seine oder ihre Arbeit mit dem Partner, der auch eine Box oder ein Bett sein kann und schließlich die Ebene des Ensembles.

In jeder Kritik zu Ihrer Arbeit wird irgendwo erwähnt, dass Sie in einem Kibbuz aufgewachsen sind. Wie wichtig ist dieser Hintergrund für Sie?

Ich glaube, dass jeder Künstler durch seinen biographischen Hintergrund beeinflusst ist, sei es bewusst oder unbewusst.

Können Sie das noch konkreter fassen?

Ich weiß nicht, ob es ich genauer sagen kann. Das Leben im Kibbuz hat mich beeinflusst, aber ich kann nicht sagen: Deshalb tue ich jetzt dieses und jenes.

Sie haben gesagt, dass „With your eyes“ keinen explizit politischen Hintergrund hat und dass Sie damit auch keine Geschichte erzählen wollen. Was ist Ihr Anliegen?

Es ist ein Stück, in dem ich dem einzelnen Zuschauer Angebote mache. Er soll durch seine eigenen Augen sehen, durch seine eigene Gefühle, Erinnerungen, Gedanken interpretieren, was er sieht. Er kann seine eigenen kleinen Geschichten erzählen, mit dem Material, das er auf der Bühne sieht. Ich gebe jedem Zuschauer vollständige Freiheit dazu. Natürlich habe ich Gründe, warum ich dieses oder jenes wähle, aber das behalte ich für mich. Es geht nicht darum, mich als Schöpfer zu verstehen, zu deuten, was dieses oder jenes symbolisiert.

Diese Freiheit scheint auch in der Auflösung der klassischen weiblichen und männlichen Rollen auf, wenn zum Beispiel in einer Figur die Tänzerinnen die Tänzer hochheben.

Das ist eine Möglichkeit – durch Ihre eigenen Augen.

Viele zeitgenössische Choreographen setzen darauf, Geschichten zu erzählen, die den Zuschauer an die Hand nehmen. Ist das in Ihren Augen eine künstlerische Sackgasse für den Tanz?

Ich spreche in dieser Sache nicht von absoluten Gesetzen, das hielte ich für falsch. In „With your eyes“ erzähle ich keine Geschichte, aber ich habe auch Arbeiten gemacht, die Geschichten erzählen. Mich interessiert es mehr, mehrere Möglichkeiten zu schaffen und es nicht auf eine Möglichkeit zu reduzieren, der der Zuschauer folgen muss. So wie im klassischen Ballett, wo man im Programm aufschreibt, was im ersten Akt passiert, wann die Prinzessin auftaucht und wann sie sich verliebt. Tanz ist für mich eine viel abstraktere Sprache, die wenig mit Worten und Fakten zu tun hat, es geht eher um Atmosphäre. Wobei es mir nicht um vollständige Abstraktion geht, sondern um das Hier und Jetzt in unserer Welt.

Was man nicht sagen kann, kann man tanzen?

Ja, natürlich. Wenn man es besser mit Worten sagen könnte, würde ich mich nicht mit Tanz und Bewegung befassen. Natürlich haben Worte eine starke Position, es ist kein Entweder-Oder, es ist nur eine andere Form der Kommunikation. Und ich nutze sogar ein wenig Sprache in „With your eyes“.

Sie haben bereits vor Jahren an der Komischen Oper Berlin gearbeitet. Hat es für Sie als Kind von Holocaust-Überlebenden noch eine besondere Bedeutung, nach Deutschland zu kommen?

Ein großer Teil meiner Familie starb im Holocaust. Ich gehöre zur Zweiten Generation und ich denke, dass wir Wege der Kommunikation finden müssen und einer davon ist es, in Deutschland zu arbeiten. Deshalb habe ich diese Einladung angenommen.

Wenn von Ihrer Arbeit die Rede ist, kommen Kritiker oft auch auf Daniel Barenboim und sein israelisch-palästinensisches „West-Eastern Divan Orchestra“ zu sprechen, das einen stark politisch-sozialen Anspruch hat. Stört es Sie, wenn der auch an Ihre Arbeit angelegt wird?

In meiner Kompanie sind Tänzer ganz unterschiedlicher Herkunft, auch arabischer. Aber für mich ist Tanz eine internationale Sprache, es geht nicht um Staaten oder Religionen. Es geht um den Menschen und sein universelles Bedürfnis, Kunst zu schaffen. Der einzige Parameter, den ich an meine Tänzer in der Kibbutz Contemporary Dance Company anlege, ist das künstlerische Niveau.

Hat Tanz für Sie politische Sprengkraft?

Natürlich kann Tanz nicht die politische Realität verändern. Aber es ist ein Weg Kommunikation zwischen Menschen herzustellen. Zumindest die Zuschauer, die im Theater sitzen und das Stück ansehen und am Schluss hinausgehen, können mit sich ein paar Fragezeichen hinausnehmen.