: Jukebox
An allem sollen immer die Väter Schuld sein
Neu. Immer nur neu. Das hat auch was Besinnungsloses. Insofern ist es schön, dass gerade bei der Neuen Musik das mit dem Neuen gar nicht so eng gesehen wird. Eigentlich passt da von Schönberg weg das ganze 20. Jahrhundert mit seiner gegenwärtigen Verlängerung rein. Was in Sachen Pop vielleicht so wäre, wenn Chuck Berry zu einem Festival für neue Rockmusik geladen würde. Aber Pop gehorcht eben der Hitparade, der offiziellen genauso wie der nach Hipness orientierten, und ist bis in seine Nischen hinein streng kapitalistisch organisiert.
In der Nische Neue Musik hat man damit natürlich auch zu tun, und ein von öffentlicher Hand mitalimentierter Schutzraum ist sie eben auch. Das kann andererseits bedeuten, dass ein neues Stück schon mal zehn Jahre im Kompositionskästlein warten muss, bis es endlich uraufgeführt wird. Wie das beim gerade stattfindenden Ultraschall passierte, dem Festival für Neue Musik, wo man auch das wunderbar dunkle Stück „Yamaon“ von Giacinto Scelsi aus den Mittfünfzigern hören konnte. In der Stimmung genau so, wie das die französischen Gruftrocker Magma mehr als eine Dekade später machten. Wobei sich Scelsi wahrscheinlich einen Dreck um Rock scherte, während Pop bei der Sichtung seiner Stammväter sich mittlerweile auch bei der Neuen Musik umschaut. Deswegen sollen Karlheinz Stockhausen und Pierre Henry als „Väter“ von Techno gelten. Was so richtig ist wie die Bezeichnung des Glühbirnen-Promoters Edison als Vater des Stroboskops.
Zum Gen-Test muss man am heutigen Freitag um 18 Uhr beim Ultraschall-Festival zum „Gesang der Jünglinge“ ins Radialsystem. Gilt als erstes Meisterstück der elektronischen Musik und stammt vom jetzt im Dezember verstorbenen Karlheinz Stockhausen. Und danach gleich in die Volksbühne (19.30 Uhr) zum Club-Transmediale-Auftakt mit Pierre Henry, der dort sein neues Werk „Pulsation“ vorstellt. Mit seinem „Psyché Rock“ aus der (mit Michel Colombier verfassten) „Messe pour le Temps Présent“ hatte Henry 1967 sogar mal einen echten Hit: Um Stumpfbeat wie „Wild Thing“ von den Troggs schrammendes elektronisches Summsen und Geblubber, plus Röhrenglockengebimmel. Argloser Unfug wie James Last. Es offenbarte ein tiefes Unverständnis von Rockmusik.
Ohne Rockkontext und abseits der „Messe“ aber finden sich mit manchem spröden Neue-Musik-Knarzen auf der Platte doch noch interessante Partien. THOMAS MAUCH