Die Entrüsteten
Das Hamburger U-Boot-Orchester inszeniert Performances aus Klangkollagen, Filmprojektionen und Mummenschanz. Dabei entsteht eine Skurrilität, die das Künstlerkollektiv abhebt von einem Mainstream, in dem das Schrille zur Konvention geworden ist
Skurrilität ist ein Selbstzweck, das wissen wir nicht erst seit Karl Valentin. Anders zu sein, Konventionen zu sprengen, aufzufallen, gern um jeden Preis – dieses Mantra singt täglich die Eventökonomie des Fernsehens. Zu schade, dass dabei unterzugehen droht, dass Skurrilität auch Charme haben kann. Wenn Felix Schröder zum Beispiel im Tiefseetaucheranzug auf die Bühne tritt und von irgendwoher Töne erzeugt, wenn Andreas Wolf sein Violincello zwischen Werfwolfpuschen an den Füßen stellt und darüber Bilder vom submarinen Miteinander flimmern, wenn ein gutes Dutzend Musikanten mal Krach macht, mal Tonwelten haucht – dann steht das U-Boot-Orchester auf der Bühne und errichtet darauf seine bizarre Welt aus Klangkollagen, Mummenschanz und Traumtänzerei.
Das Hamburger Künstlerkollektiv macht keine Musik im eigentlichen Sinne; es macht Fusionjazz mit Rezitationen, Tango mit Klangschalen, Schauspiel mit Blechbläsern, multiinstrumentale Improvisation – „aber was wir machen, hat doch immer irgendwie Themen“, sagt Hannes Wienert, der viel Organisatorisches für das Septett mit wechselnder Zusatzbesetzung verrichtet. Und manchmal, fügt er hinzu, „werden wir sogar richtig rhythmisch“.
Da musste man kürzlich im Lauenburger Künstlerhaus zwar schon sehr genau hinhören, um zwischen dem Gequietsche, Gejohle und Gelese Notenabfolgen erkennen zu können; aber wer sich darauf eingelassen hat, fand sie tatsächlich und entdeckte darin eine Art Ursubstanz des Crossover, die Vermischung aller Stile bis zu einem Punkt, wo tatsächlich keiner mehr erkennbar ist. Einigen wir uns also im weitesten Sinne auf Freejazz, wie es schon das legendäre Vollmondorchester in der Roten Flora lange Zeit zelebrierte, dessen ehemaliger Dirigent im U-Boot das Sopransaxophon bedient.
Dass er im nautischen Orchesterdeutsch bemüht humoristisch „Klangbergwanderer“ heißt, belegt zwar einen leicht manieristischen Habitus reifer Männer, aber er vollzieht sich augenscheinlich als Ergebnis purer Liebe zur Performance, nicht aus reiner Effekthascherei. Das sieht dann manchmal ein bisschen albern aus, erwachsene Kerle in komischen Kostümen – hihi. Aber hier wirkt es gerade nicht peinlich, mehr gelassen entrüstet. Eher als Ausdruck des eigenen Bemühens, nicht abzusaufen in einem Mainstream, der sich unablässig als sein Gegenteil inszeniert wie Prokuristen im Fasching, die gerade mal wieder mit Pappnase und Alkfahne so richtig die Sau rauslassen.
Schließlich ist das Wesen der sporadischen Auftritte im Raum Norddeutschland weder musikalischer Genuss noch bloße Show, sondern die Vielfalt ihrer Darreichungsformen. Wenn das Orchester am heutigen Aschermittwoch in der Hamburger St. Katharinen Kirche den Karneval ausklingen lässt, wird also viel aus dem Buch der Bücher vertont, verstörend untermalt von zarten Disharmonien, Gelaber, Gesang, und dazu Rote Beete Risotto mit Datteln oder ähnlich religiös Deutbares vom Buffet gereicht. „Schmeckabend“, nennt das Hannes Wienert, der dazu lange Plastikschläuche oder Holzblasinstrumente spielt. „Happenings“ hat man so was einst genannt, damals, als noch kein Privatfernsehen existierte. Und vielleicht spielen sie auch ein wenig dagegen an. Nicht erfolgreich, aber liebenswert. Jan Freitag
Konzert: Heute um 19.30 Uhr in der Hauptkirche St. Katharinen in Hamburg