Großartiges Debakel

Peter Geyers „Jesus Christus Erlöser“ (Panorama) dokumentiert einen legendären Auftritt von Klaus Kinski

Seitdem Werner Herzog 1999 die Kinski-Dokumentation „Mein liebster Feind“ in die Kinos gebracht hatte, ist es still geworden um den großen wilden, 1991 verstorbenen Schauspieler. Nun hat Peter Geyer, Kinski-Biograf und -Nachlassverwalter, einen Film über den wohl legendärsten Kinski-Auftritt herausgebracht: am 20. November 1971 hatte der damals 45-Jährige in der mit 3.000 bis 5.000 Besuchern gefüllten Berliner Deutschlandhalle seinen 30-seitigen Text „Jesus Christus Erlöser“ vorgetragen. Damals war Jesus in aller Munde; die 1970 erschienene Schallplattenfassung von Andrew Lloyd Webbers Rockoper „Jesus Christ Superstar“ (mit dem Deep-Purple-Sänger Ian Gillan) war ein riesiger Erfolg. Einen Monat vor Kinskis Auftritt war die Bühnenfassung des Rockmusicals in New York uraufgeführt worden.

Fast zehn Jahre lang war der Künstler, der ab 1952 vor allem durch seine Rezitationen von Rimbaud und François Villon berühmt geworden war, nicht mehr auf der Bühne aufgetreten. Der Jesus-Christus-Abend, der der Auftakt einer weltweiten Tournee sein sollte, wird zum Debakel. Linke Zuschauer provozieren den Schauspieler, Kinski beleidigt zurück, mehrmals verlässt er die Bühne, bevor er dann, nach Mitternacht, vor hundert Verbliebenen seinen Text glücklich zu Ende spricht.

Die Zeitungskritiken sind hämisch: Kinski wird zur Witzfigur stilisiert, die Provokationen der Zuschauer werden nicht erwähnt. Sechs Tage nach der Christus-Premiere bittet sein Veranstalter um Entlassung aus seinem Vertrag und meldet kurz danach Konkurs an. Eine Woche nach dem Berliner Debakel tritt Kinski ohne Gage und ohne Zwischenrufe in der Düsseldorfer Philips-Halle zum allerletzten Mal auf der Bühne auf.

Von seinem „wichtigsten Vortrag“ (Kinski), der sich letztlich sechs Stunden hinzog, gibt es lediglich 134 Minuten Filmmaterial, die Peter Geyer hervorragend zu einem 84-Minuten-Film zusammengeschnitten hat. Ein großartiges Zeitdokument und seltsamerweise der einzige Bühnenauftritt von Kinski, der filmisch dokumentiert ist. Im Blümchenhemd mit schulterlangen Haaren präsentiert Kinski dabei nicht so sehr (oder erst am Ende) den sanften Versöhner, sondern den aufrührerischen, antiinstitutionellen Jesus, der sich mit denen verbündet, die als „Randgruppen“ (Marcuse) oder „Patchwork der Minderheiten“ (Lyotard) bei 68er-Theoretikern wie Marcuse und Lyotard die Rolle des Proletariats auf dem Weg zur Weltrevolution übernommen hatten. Also: Junkies, Kriegsdienstverweigerer, weinende Mütter in Vietnam, Huren, Trinker, Kriminelle. Deshalb ist es umso befremdlicher, dass er immer wieder mit beleidigenden Zwischenrufen – „du hast doch selbst nie gearbeitet“, „der onaniert doch ständig in die Luft“, „der hat doch schon seine Million“ – unterbrochen wird oder dass Zuschauer auf die Bühne wollen, um zu „diskutieren“. Die Zwischenrufe führen dazu, dass er seinen Vortrag gegen die Zuschauer richtet, die er mit biblischen Zitaten wie weiland der Erlöser als Schweine oder Säue, beschimpft; dass er sich immer besser in seine Rolle hineinsteigert.

„Jesus Christus Erlöser“ dokumentiert nicht nur einen großartigen Auftritt Kinskis, sondern auch die Dummheit und selbstzufriedene Kulturfeindschaft eines Teils der 68er, die – nachdem Kinski zum x-ten Mal die Bühne verlassen hatte – im vielstimmigen Chor: „Kinski ist ein Faschist“ skandieren. DETLEF KUHLBRODT

„Jesus Christus Erlöser“. Regie: Peter Geyer. D 2008, 84 Min. 12. 2., 22.30 Uhr, CineStar; 13. 2., 22.30 Uhr, Cubix