: „Ich habe mich nützlich gefühlt“
Mit „Elle s’appelle Sabine“ (Berlinale Special) präsentierte Sandrine Bonnaire am Montag eine Dokumention über ihre autistische Schwester. Die französische Schauspielerin im Interview über Nicolas Sarkozy und den Terror der Psychiatrie
Sandrine Bonnaire gehört zu den beliebtesten Schauspielerinnen Frankreichs. Sie wurde 1967 in Gannat geboren, kommt aus einer Arbeiterfamilie und hat neun Geschwister. 1982 hatte sie ihre erste Rolle in „La Boume 2“, ein Jahr später, im Alter von 16 Jahren, wurde sie für ihre Rolle in „A Nos Amours“ von Maurice Pialat mit dem César als beste Nachwuchsdarstellerin ausgezeichnet. Ihren internationalen Durchbruch feierte sie 1985 mit ihrer Hauptrolle in „Vogelfrei“ von Agnes Varda. Für sie erhielt sie den César als beste Schauspielerin. Außerdem drehte sie mit Jacques Rivettes, Jacques Doillon, Andre Techiné, Claude Chabrol und Patrice Leconte. Ihr Dokumentarfilm über ihre autistische Schwester, „Elle s’appelle Sabine“, ist ihr Regiedebüt. IK
INTERVIEW INES KAPPERT
taz: Frau Bonnaire, Sie sollten auf der diesjährigen Berlinale in doppelter Funktion vertreten sein: als Filmemacherin und als Jurymitglied. Letzteres haben Sie sehr kurzfristig abgesagt. Warum?
Sandrine Bonnaire: Ich hatte sehr präzise private Gründe. Die von den Organisatoren auch verstanden wurden. Ich hoffe sehr, dass ich nächstes Jahr noch mal eingeladen werde. Mal sehen.
Ihr Dokumentarfilm „Elle s’appelle Sabine“ porträtiert Ihre autistische Schwester und zeigt die großen Schwierigkeiten, einen lebenswerten Ort für geistig Behinderte zu finden. Warum haben Sie den Film erst jetzt gedreht? Ihre Schwester ist immerhin schon 38 Jahre alt…
Zunächst wollte ich mit dem Film schon anfangen, nachdem Sabine das erste Jahr in der Psychiatrie war, im Jahr 2002. Dann dachte ich aber: Komm, du bist Schauspielerin, das ist deine Schwester, vielleicht ist das keine gute Idee. Später traf ich viele Familien, die ähnliche Probleme hatten wie wir mit Sabine. Da habe ich mir fest vorgenommen, den Film doch zu machen. Dann hatte ich aber wieder viele Engagements als Schauspielerin, und so hat es noch länger gedauert.
Ihre Schwester war einverstanden, porträtiert zu werden?
Ja. Wir haben sie natürlich gefragt und auch ihre Betreuer haben mit ihr gesprochen, ob sie wirklich einverstanden ist.
Warum ein Dokumentarfilm? Sie hätten die Geschichte auch in einem Spielfilm verarbeiten können.
Ein Spielfilm wäre weniger eindringlich geworden. Mein Film ist ja nicht nur ein Film, sondern hat auch ein politisches Anliegen. Die Frage ist: Was passiert mit diesen Menschen, wenn man sie zu Hause nicht mehr betreuen kann oder möchte? Müssen sie dann ihr Leben lang in der Psychiatrie bleiben?
Engagieren Sie sich diesbezüglich auch politisch?
Ich bin Teil eines Netzwerkes, das Vorschläge ausarbeitet, wie das Leben von geistig Behinderten verbessert werden kann, und an die entsprechenden Ministerien schickt. Nachdem der Film in die französischen Kinos kam, habe ich u. a. Nicolas Sarkozy getroffen. Ich sagte zu ihm: Voilà, hier ist der Film, das ist meine Schwester, das ist das Problem. Und es gibt noch viele andere, die unter Autismus leiden. Was ist Ihr Vorschlag?
Und? Was war sein Vorschlag?
Er war einverstanden, kleinere Betreuungseinrichtungen zu schaffen. Aber noch haben wir keine konkreten Zusagen.
Ihre Schwester war insgesamt fünf Jahre in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt.
Ja, und das war keine Lösung. Sabine hatte trotz ihrer Krankheit viele Fähigkeiten. In der Psychiatrie wurden sie zerstört, abgetötet. Hätte ich daraus einen Spielfilm gemacht, hätte mir niemand die Geschichte geglaubt.
Das Zentrum, in dem Sabine heute lebt, wurde von Ihnen gegründet, richtig?
Fast. Es gab das Zentrum bereits, aber keinen Platz für meine Schwester. Ich habe dann gemeinsam mit dem Direktor versucht, beim Staat Gelder für ein zusätzliches Haus aufzutreiben. Aber wir erhielten keine Antwort. Daraufhin schrieb ich 2000 einen Brief an den Premier, in dem ich ihm die Lage schilderte. Danach erst wurde die Gründung möglich. 2006 ist Sabine dort eingezogen.
Ihr Film tastet sich sehr vorsichtig an die Porträtierten heran. Er ist langsam.
Der Rhythmus war mir sehr wichtig. Ich habe Menschen gefilmt, die – nicht zuletzt wegen der vielen Medikamente – langsam sind. Also musste auch ich langsam sein. Im Schnitt habe ich dann immer mal wieder versucht, Szenen abzukürzen. Aber das funktionierte nicht. Man muss es zulassen, dass Sabine sich wieder und wieder wiederholt. Deswegen habe ich mich gegen die Montage entschieden.
Trotzdem arbeitet Ihr Film mit harten Schnitten.
Ja. Zwischen den Fotos von Sabine vor ihrer Einweisung in die Psychiatrie und den Aufnahmen danach. Ich wollte, dass der Zuschauer den Terror nachvollziehen kann, den die psychische und auch physische Deformation von Sabine für uns als Familie bedeutet hat.
Zu Anfang begreift man gar nicht, dass es sich um dieselbe Person handelt.
Ja. Sabine war schön, hatte lange Haare und wog 30 Kilo weniger.
Hat Ihre Schwester den Film gesehen?
Sie liebt ihn und guckt sich ihn jeden Tag an.
Ist es nicht schmerzhaft für Sie zu sehen, wie viel kränker sie heute ist?
Ich glaube nicht, dass Sabine weiß, dass sie anders ist als ich.
Tatsächlich?
Ja, ganz sicher. Und das ist wichtig. Für sie scheint noch alles möglich. Kinder zu kriegen, einen Mann. Sie hat Hoffnung, das erhält sie – wie uns alle – am Leben.
Sie sind sehr geduldig mit Ihrer Schwester, manchmal aber auch offensichtlich genervt. Hat es lange gedauert, bis Sie die Unberechenbarkeit von Sabine akzeptiert haben? Ihre Hilflosigkeit, ihre Zuneigung, ihre Aggressivität?
Nein. Ich kenne sie ja schon so lange. Sie ist ein Jahr jünger als ich. Ich bin an sie gewöhnt, auch an ihre Gewalttätigkeit. Auch normale Menschen verletzen oder beleidigen einen schließlich. Damit muss man klarkommen. Schwierig ist nur die Frage, wie man sich gegen sie schützt. Da Sabine ziemlich stark ist, muss man manchmal zu zweit oder dritt sein, um sie zu beruhigen.
Sie haben neun Geschwister. Ihren Film haben Sie aber nur Ihren Schwestern gewidmet. Warum?
Während der fünf Jahre, die Sabine in der Psychiatrie war, haben nur wir Schwestern uns um sie gekümmert und nach einem anderen Ort für sie gesucht. Da der Film von dieser Suche handelt und es in dieser Zeit ganz schreckliche Momente gab, vor denen meine Brüder geschützt waren, wollte ich mich bei meinen Schwestern bedanken.
Hatten Sie ein Vorbild, als Sie mit dem Film anfingen?
Ich habe keine Lust auf Referenzen oder Vorbilder. Man macht es ja immer weniger gut als das, was es schon gibt (lacht).
Werden Sie weitere Filme machen?
Jetzt, wo ich diesen Film hingekriegt habe, hätte ich schon Lust, weiterzumachen. Es war eine angenehme Abwechslung für mich, ich habe mich nützlich gefühlt. Wissen Sie, die Schauspielerei ist ein eher passiver Beruf. Bei einem Acht-Stunden-Tag arbeitet man de facto vielleicht eine. Der Rest ist nur Warten auf andere.
„Ich habe mich nützlich gefühlt“
Mit „Elle s’appelle Sabine“ (Berlinale Special) präsentierte Sandrine Bonnaire am Montag eine Dokumention über ihre autistische Schwester. Die französische Schauspielerin im Interview über Nicolas Sarkozy und den Terror der Psychiatrie
INTERVIEW INES KAPPERT
taz: Frau Bonnaire, Sie sollten auf der diesjährigen Berlinale in doppelter Funktion vertreten sein: als Filmemacherin und als Jurymitglied. Letzteres haben Sie sehr kurzfristig abgesagt. Warum?
Sandrine Bonnaire: Ich hatte sehr präzise private Gründe. Die von den Organisatoren auch verstanden wurden. Ich hoffe sehr, dass ich nächstes Jahr noch mal eingeladen werde. Mal sehen.
Ihr Dokumentarfilm „Elle s’appelle Sabine“ porträtiert Ihre autistische Schwester und zeigt die großen Schwierigkeiten, einen lebenswerten Ort für geistig Behinderte zu finden. Warum haben Sie den Film erst jetzt gedreht? Ihre Schwester ist immerhin schon 38 Jahre alt…
Zunächst wollte ich mit dem Film schon anfangen, nachdem Sabine das erste Jahr in der Psychiatrie war, im Jahr 2002. Dann dachte ich aber: Komm, du bist Schauspielerin, das ist deine Schwester, vielleicht ist das keine gute Idee. Später traf ich viele Familien, die ähnliche Probleme hatten wie wir mit Sabine. Da habe ich mir fest vorgenommen, den Film doch zu machen. Dann hatte ich aber wieder viele Engagements als Schauspielerin, und so hat es noch länger gedauert.
Ihre Schwester war einverstanden, porträtiert zu werden?
Ja. Wir haben sie natürlich gefragt und auch ihre Betreuer haben mit ihr gesprochen, ob sie wirklich einverstanden ist.
Warum ein Dokumentarfilm? Sie hätten die Geschichte auch in einem Spielfilm verarbeiten können.
Ein Spielfilm wäre weniger eindringlich geworden. Mein Film ist ja nicht nur ein Film, sondern hat auch ein politisches Anliegen. Die Frage ist: Was passiert mit diesen Menschen, wenn man sie zu Hause nicht mehr betreuen kann oder möchte? Müssen sie dann ihr Leben lang in der Psychiatrie bleiben?
Engagieren Sie sich diesbezüglich auch politisch?
Ich bin Teil eines Netzwerkes, das Vorschläge ausarbeitet, wie das Leben von geistig Behinderten verbessert werden kann, und an die entsprechenden Ministerien schickt. Nachdem der Film in die französischen Kinos kam, habe ich u. a. Nicolas Sarkozy getroffen. Ich sagte zu ihm: Voilà, hier ist der Film, das ist meine Schwester, das ist das Problem. Und es gibt noch viele andere, die unter Autismus leiden. Was ist Ihr Vorschlag?
Und? Was war sein Vorschlag?
Er war einverstanden, kleinere Betreuungseinrichtungen zu schaffen. Aber noch haben wir keine konkreten Zusagen.
Ihre Schwester war insgesamt fünf Jahre in einer geschlossenen psychiatrischen Anstalt.
Ja, und das war keine Lösung. Sabine hatte trotz ihrer Krankheit viele Fähigkeiten. In der Psychiatrie wurden sie zerstört, abgetötet. Hätte ich daraus einen Spielfilm gemacht, hätte mir niemand die Geschichte geglaubt.
Das Zentrum, in dem Sabine heute lebt, wurde von Ihnen gegründet, richtig?
Fast. Es gab das Zentrum bereits, aber keinen Platz für meine Schwester. Ich habe dann gemeinsam mit dem Direktor versucht, beim Staat Gelder für ein zusätzliches Haus aufzutreiben. Aber wir erhielten keine Antwort. Daraufhin schrieb ich 2000 einen Brief an den Premier, in dem ich ihm die Lage schilderte. Danach erst wurde die Gründung möglich. 2006 ist Sabine dort eingezogen.
Ihr Film tastet sich sehr vorsichtig an die Porträtierten heran. Er ist langsam.
Der Rhythmus war mir sehr wichtig. Ich habe Menschen gefilmt, die – nicht zuletzt wegen der vielen Medikamente – langsam sind. Also musste auch ich langsam sein. Im Schnitt habe ich dann immer mal wieder versucht, Szenen abzukürzen. Aber das funktionierte nicht. Man muss es zulassen, dass Sabine sich wieder und wieder wiederholt. Deswegen habe ich mich gegen die Montage entschieden.
Trotzdem arbeitet Ihr Film mit harten Schnitten.
Ja. Zwischen den Fotos von Sabine vor ihrer Einweisung in die Psychiatrie und den Aufnahmen danach. Ich wollte, dass der Zuschauer den Terror nachvollziehen kann, den die psychische und auch physische Deformation von Sabine für uns als Familie bedeutet hat.
Zu Anfang begreift man gar nicht, dass es sich um dieselbe Person handelt.
Ja. Sabine war schön, hatte lange Haare und wog 30 Kilo weniger.
Hat Ihre Schwester den Film gesehen?
Sie liebt ihn und guckt sich ihn jeden Tag an.
Ist es nicht schmerzhaft für Sie zu sehen, wie viel kränker sie heute ist?
Ich glaube nicht, dass Sabine weiß, dass sie anders ist als ich.
Tatsächlich?
Ja, ganz sicher. Und das ist wichtig. Für sie scheint noch alles möglich. Kinder zu kriegen, einen Mann. Sie hat Hoffnung, das erhält sie – wie uns alle – am Leben.
Sie sind sehr geduldig mit Ihrer Schwester, manchmal aber auch offensichtlich genervt. Hat es lange gedauert, bis Sie die Unberechenbarkeit von Sabine akzeptiert haben? Ihre Hilflosigkeit, ihre Zuneigung, ihre Aggressivität?
Nein. Ich kenne sie ja schon so lange. Sie ist ein Jahr jünger als ich. Ich bin an sie gewöhnt, auch an ihre Gewalttätigkeit. Auch normale Menschen verletzen oder beleidigen einen schließlich. Damit muss man klarkommen. Schwierig ist nur die Frage, wie man sich gegen sie schützt. Da Sabine ziemlich stark ist, muss man manchmal zu zweit oder dritt sein, um sie zu beruhigen.
Sie haben neun Geschwister. Ihren Film haben Sie aber nur Ihren Schwestern gewidmet. Warum?
Während der fünf Jahre, die Sabine in der Psychiatrie war, haben nur wir Schwestern uns um sie gekümmert und nach einem anderen Ort für sie gesucht. Da der Film von dieser Suche handelt und es in dieser Zeit ganz schreckliche Momente gab, vor denen meine Brüder geschützt waren, wollte ich mich bei meinen Schwestern bedanken.
Hatten Sie ein Vorbild, als Sie mit dem Film anfingen?
Ich habe keine Lust auf Referenzen oder Vorbilder. Man macht es ja immer weniger gut als das, was es schon gibt (lacht).
Werden Sie weitere Filme machen?
Jetzt, wo ich diesen Film hingekriegt habe, hätte ich schon Lust, weiterzumachen. Es war eine angenehme Abwechslung für mich, ich habe mich nützlich gefühlt. Wissen Sie, die Schauspielerei ist ein eher passiver Beruf. Bei einem Acht-Stunden-Tag arbeitet man de facto vielleicht eine. Der Rest ist nur Warten auf andere.