Justizvollzugsgesetz vor Gericht

Die Post bleibt liegen: Wegen einer Panne im niedersächsischen Justizvollzugsgesetz kann ein Untersuchungs-Häftling bis auf weiteres keine Briefe verschicken

Kaum ist es in Kraft getreten, wird das Niedersächsische Justizvollzugsgesetz (NJVollzG) auch schon das Bundesverfassungsgericht beschäftigen. In Teilen hält der erste Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg (OLG) das seit 1. Januar geltende Regelwerk für unvereinbar mit dem Grundgesetz: Betroffen sind die Bestimmungen für die Kontrolle von Briefen aus der U-Haft.

Sie konkurrieren nach Auffassung der Oldenburger Richter mit den einschlägigen Vorschriften der – bundeseinheitlichen – Strafprozessordnung. Das aber darf nicht passieren. Die Entwicklung des Landesstrafvollzugsgesetzes war Hauptaufgabe der Amtszeit von Justizministerin Elisabeth Heister-Neumann (CDU). Künftig steht sie dem Bildungsressort vor.

Auslöser der Entscheidung ist ein Streit zwischen dem Landgericht Aurich und dem Amtsgericht Meppen – darüber, wer die Briefe eines Untersuchungs-Häftlings lesen und weiterleiten muss: Der Mann sitzt seit Oktober in Meppen ein. Vorgeworfen wird ihm ein Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, und seither hat er schon mehrere Briefe geschrieben. Keiner hat den Adressaten erreicht – weil nach Strafprozessordnung das Landgericht, nach NJVollzG der Amtsrichter, zu kontrollieren hätte. Auch der Oldenburger Strafsenat konnte lediglich feststellen, er sei „an einer Entscheidung gehindert“ – weil sich der Widerspruch nicht auflösen lässt. Folge: Das Verfahren sei „auszusetzen und dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen“,so der Beschluss von Mittwoch (Az: 1 Ws 8708). Das Land habe mit den entsprechenden Paragrafen seine Kompetenzen überschritten.

Inhaltlich stand die Frage der Briefkontrolle schon zuvor in der Kritik: So klagten diverse Amtsgerichte über die zusätzliche Arbeit, Strafverfolger warnten, die Neuregelung verursache den Verlust von Informationen. So erinnerte Kirsten Stang, stellvertretende Landesvorsitzende des Richterbundes, daran, dass Briefe mitunter verschlüsselte Botschaften enthielten. Der bisher für die Kontrolle zuständige Ermittlungsrichter habe durch seine Fall-Kenntnis gute Chancen, sie zu bemerken. Ein Richter, der Briefe von 70, 80 Gefangenen überprüft, eher nicht. Ein Streitpunkt also. Umso überraschender, dass auch er – folgt man der Einschätzung des OLG – im neuen Gesetz handwerklich unzulänglich geklärt wurde.

Erst seit der Föderalismusreform können Bundesländer den Justizvollzug selbst regeln. Heister-Neumanns Ehrgeiz war es, als erste das Klassenziel zu erreichen. Wurde sie auch. Und das niedersächsische CDU-Wahlkampfprogramm feierte, dass man dadurch „eine Vorreiterrolle in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte“ eingenommen habe. Das Gesetz sei „zu schnell durchgepeitscht worden“ kritisierte nun der Landtags-Grüne Ralf Briese, „da rutscht dann natürlich schnell mal ein Fehler durch“.

Böse Folgen hat das Kuddelmuddel für den Meppener U-Häftling: „Seine Briefe bleiben ungeöffnet und können nicht weitergeleitet werden“, bestätigte eine Sprecherin des OLG. Möglich sei aber, dass Karlsruhe vorläufige Klarheit durch eine Eilentscheidung herstellt. BES