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Archiv-Artikel

ausgehen und rumstehen Ur-Berliner unterwegs mit dem Hiphop-Mogul

Nein danke, kein Amuse-Gueule mehr. Es ist 14.30 Uhr und diverse Häppchen und noch mehr Schlückchen müssen bereits verdaut werden. Der Film als Party-Amuse-Gueule ist beliebt. Gerne geht man vor einem Abend, der in nichts als heillosem Selbstdarstellungszwang aufgrund unterschiedlichster Kartoffelschnapssorten enden soll, ins Kino, um die kritische Zeit zwischen 22 und 0 Uhr (generell die Zeit mit der höchsten „ach nee, heut doch nicht …“-Quote), in Bars zu verbringen und über den Film zu streiten.

Nicht so bei der Berlinale. Das VIP-Zelt jedenfalls folgt der alten Devise: je früher, desto besser. Und deshalb sitzen wir gegen drei auch so angesäuselt zwischen hysterisch gutgelaunten Menschen, dass wir den Schuppen grölend verlassen müssen, als die Servierbrigade unseren russischen Freunden ihr Mittagsmahl kredenzt. „Hier ham wa einma Pasta of the Day und dit Mushroomrisotto.“ So talkt der Mann von Welt. Na gut, the Rechnung please, läppische 15 Euro für eine Untertasse mit Nudeln drauf und einer kleisterähnlichen Gorgonzolasauce. Mein Versuch, mich von einem VIP-Shuttle-Service zurück in den P-Berg fahren zu lassen, schlägt fehl, obwohl den um meinen Hals baumelnden Ausweis ein Berlinale-Logo ziert.

Zu Hause ein Gästelistensondierungsanruf. „So so, aha, nee nee, is ja interessant, schreib mich mal auf die Liste, bis später.“ Nachdem in der Stammbar das eine oder andere Bier aus dem Lager abgezweigt wurde, wankt man auf die Torstraße, um ein Taxi zu ergattern, und findet sich in einem mobilen Big-Brother-Container wieder. Meine anfängliche „Quiz-Taxi“-Euphorie verfliegt schnell, es handelt sich um das sogenannte „Nachttaxi“ des RBB. Also wieder raus aus dem Taxi, doch halt, man überzeugt uns, dass der Fahrpreis von 0 Euro unschlagbar sei, also wieder rein und los. Am „Rodeo“ angelangt und den (mit Smalltalk abgespeisten) Moderator/Taxifahrer stehen lassend, um ein Spiel zu spielen, dass an den Türen dieser Welt immer wieder gern gespielt wird.

Während man selber – meist alleine – im Besitz eines Gästelistenplatzes ist, müssen die Begleitung und etwaiges Anhängsel mitgelotst werden. Man behauptet also, zu viert auf der Gästeliste zu stehen, während der Türsteher einen leeren Zettel aus der Tasche kramt und den Blick über die Anwesenden schweifen lässt. „Nichts zu machen.“ Heißt es; bis der Azubi vom RBB uns zwecks einer Unterschrift nachstellt, und man aufgrund der überhandnehmenden Promis, die ihre eigene Mutter für 50 Euro im Dschungelcamp Känguruhoden essen lassen würden, nicht mehr so genau weiß, ob man jetzt wichtig ist oder nicht – immerhin haben wir ein Kamerateam dabei.

Die Dame an der Kasse (ehemals Tic Tac Toe) wirft einen Blick auf die nun real gewordene Gästeliste und winkt alle durch. Auf der Tanzfläche ekstatische junge Frauen, aber das könnte auch daran liegen, dass Daniel Brühl in der hintersten Ecke steht. Man kann nicht genau sagen, ob er tanzt oder einfach nur durch will. Specter, seines Zeichen Labelchef bei Aggro Berlin, ist von unserer „unkonventionellen Art des Wodka-Bestellens“ angetan und beschließt, den Abend mit uns zu verbringen, was zu einer – kurzweiligen – Ebbe in seinem Portemonnaie und einer erheblichen Steigerung des Promillefaktors in unserem Kopf führt.

Als wir um 13 Uhr in den namenlosen Club in der Ritterstraße torkeln, kann ich den irritierten Blicken meiner Freunde aufgrund des mich begleitenden Hiphop-Moguls nur mit einem müden Kopfnicken begegnen. Wozu sich den Tücken des Prominentenlebens stellen, wenn jene doch immer gewillt sind, etwas von ihrem künstlichen Leben gegen ein Stück Weges mit einem betrunkenen Ur-Berliner einzutauschen, denke ich mir. Und beschließe, die Senderechte für das RBB-Taxi nicht freizugeben.

JURI STERNBURG