Diskriminierung wird teuer
Eine Mitarbeiterin verklagt den Versicherungskonzern R+V auf 500.000 Euro Schadenersatz. Grund: Ihr Chef soll versucht haben, sie aus dem Job zu drängen
WIESBADEN taz ■ Vor dem Wiesbadener Arbeitsgericht ist am Montag der Gütetermin für eine der höchsten Schadenersatzforderungen wegen Verstoßes gegen das seit 2006 geltende Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gescheitert. Die Personenversicherungsbetreuerin Sule Eisele-Gaffaroglu (38) hatte ihren Arbeitgeber, den Versicherungskonzern R+V, auf Zahlung von 500.000 Euro Schadenersatz und mindestens 44.000 Euro Schmerzensgeld verklagt.
R+V habe gegen das AGG verstoßen, das Benachteiligungen wegen Geschlechts, Herkunft, Religionszugehörigkeit und sexueller Orientierung verbietet. Sie sei, so ihre Klage, doppelt diskriminiert worden – geschlechtsspezifisch als schwangere Frau und ethnisch wegen ihrer türkischen Herkunft. R+V bestritt die Vorwürfe und verweigerte die Zahlung.
Einsele-Gaffaroglu hatte ihrem Chef im Dezember 2006 mitgeteilt, dass sie schwanger sei. Dieser habe sie gegen ihren Willen gedrängt, statt eines dreimonatigen Mutterschutzurlaubs die längere Elternzeit anzutreten. Das lehnte sie ab, weil ihr kranker Mann nach der Geburt die Kinder betreuen wolle und sie die Ernährerin der Familie sei. Dennoch wurde sie am letzten Arbeitstag nicht mit ihrem Stellvertreter für die Dauer ihres Ausfalls, sondern mit ihrem „Nachfolger“ konfrontiert.
Dies habe ihr körperlich und physisch sehr zugesetzt, sagte Einsele-Gaffaroglu. Als sie im Sommer 2007 an ihren Arbeitsplatz zurückkehren wollte, sei ihr ihre bisherige, gut dotierte Stelle verweigert worden. Der für ihre Arbeit notwendige E-Mail-Zugang sei gesperrt, eine Schulung versagt worden. Sie sei stattdessen in einen Bezirk abgeschoben worden, der sehr viel weniger Provisionen einbringe, und auf ein knappes Basisgehalt gesetzt worden.
Gegen diese Versetzung klagt Eisele-Gaffaroglu parallel vor dem Ulmer Arbeitsgericht. R+V-Anwalt Ulrich Volk hielt vor Gericht dagegen, die Frau sei keinesfalls gemobbt worden, sondern von sich aus „unglücklich“ gewesen. Da das AGG für bundesdeutsche Juristen Neuland ist, wechselte die studierte Germanistin nach einem ersten Versuch der Klage zu den beiden Experten Klaus Michael Alenfelder und Friedrich Jansen. Der Rechtsprofessor Alenfelder ist Präsident der Deutschen Gesellschaft für Antidiskriminierungsrecht. Mit seinem Kollegen Jansen verfasste er eine über 100-seitige Klageschrift. Es komme bei der Forderung nicht auf den Verdienst der Klägerin an, sondern vor allem auf den immateriellen Schaden, so die Juristen. Dies sei der Sinn der dem Gesetz zugrunde liegenden EU-Gleichbehandlungsrichtlinie. Entschädigungen, so habe der Europäische Gerichtshof 1997 entschieden, sollten eine „wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber“ haben. Das Verfahren wird am 8. Mai fortgesetzt. HEIDE PLATEN