: Ein liebender Mann
Feridun Zaimoglu erzählt feurig und ohne Angst vor Klischees von einer romantischen Jagd nach dem Glück: „Liebesbrand“
VON ALEXANDER CAMMANN
Der Sturm zieht auf nach der Liebesnacht. David findet am Morgen danach ihren Zettel auf der Toilette des Hotelzimmers: „Ein Liebhaber kannst du mir nicht sein. Ich führe mein Leben. Du führst dein Leben. Ich will dich nicht näher kennenlernen. Es bleibt bei dieser Nacht. Werben ist zwecklos. Leb wohl.“
Es ist der Tag des großen Orkans über Deutschland, also Januar 2007; Warnungen vor dem Unwetter ertönen aus dem Radio. Eine leidenschaftliche Nacht hatte er zuvor mit Tyra verbracht, endlich. „Ich habe Angst vor dir“, flüstert sie zunächst; sie quält der „Gedanke, dass du mich haben willst. Du suchst ein Opfer.“ Nackt vor ihr widerspricht er ihrem typisch weiblichen Argwohn und doziert seine „Idiotenthesen“, bis beide im Dunkeln wild übereinander herfallen: „Kampf und Krieg im Bett“, ein Sturm vor dem Sturm – danach sie wieder unnahbar, er nur für den Moment ein erlöster Mann.
Das Feuer war natürlich längst entfacht, bevor David ihren Zettel findet. Doch nun brennt Mann lichterloh: „Sie hatte mir eine Nacht geschenkt, ich war infiziert.“ Fast ein Drittel des Buches hat der Leser da hinter sich und ist mittendrin in dem emotionalen Taifun, mit dessen Hilfe Feridun Zaimoglu uns durcheinanderwirbelt. Davids „Liebesbrand“ dürfte zumindest männliche Leser ebenfalls zum Lodern bringen. „Tyra, verdammt noch mal“: In David klagt der verschmähte Mann – wer hörte da nicht die eigenen Seufzer? Unzählige Male möchte Mann daher solidarisch ausrufen: Tyra, Tyra, so erhör ihn doch endlich!
Zaimoglus Sturm treibt David auf der Suche nach Tyra durch Mitteleuropa und uns weit hinaus aufs Meer der Gefühle, weiter, immer weiter. Begonnen hatte alles nach einem flammenden Inferno: An der anatolischen Küste überlebte David ein Busunglück – eine unbekannte Deutsche hatte mit ihrem Auto gehalten und ihn versorgt. Sie verschwand wieder; ihr Gesicht und ihr Autokennzeichen aber brannten sich in ihm ein – und ihre Haarspange hält er in seinen Händen. Zurück in seiner (und des Autors) Heimatstadt Kiel, begibt der (wie sein Autor) in der Türkei geborene David sich auf seine romantische Jagd nach Liebe: „Ich glaubte an ein kleines Wunder, von der Haarspange in meinem Besitz bis zu der schönen Frau musste es einen direkten Weg geben.“ In der niedersächsischen Kleinstadt Niendorf stöbert er Tyra auf; nach jener Liebesnacht ist sie jedoch wieder verschwunden.
Für David beginnt die Odyssee erst. Der zu Geld gekommene Aktienhändler verfolgt sie nach Prag, wo Tyra für ihre Dissertation forscht. Doch ihre Ablehnung bleibt: „Du bist ein böser Geist in der Flasche. Ziehe ich den Stöpsel raus oder nicht?“
Er aber ist zäh: „Es wird nicht geschehen, dass ich der Sache, der Liebessache, überdrüssig werde.“ Schließlich Wien, ihre letzte Station: Plötzlich erblickt er „meine schöne Katholikin“ dort in einer Kapelle niederkniend vor einer Marienstatue. Sie schlafen und spazieren miteinander, doch wieder erklingt Tyras Stimme: „Das war’s“, „Vorbei“, „Keine Liebe“.
Vor den Klischees einer Mann-jagt- Frau-Geschichte braucht Zaimoglu keine Angst zu haben. Denn er kann sich auf seine Sprachmacht und Sinn für Komik verlassen, die diesen konventionellen Plot zur Kunst machen. Große Liebe ist voller Mystik, da dürfen schon mal die Glocken tönen. An weiteren Engelserscheinungen fehlt es nicht, ebenso wenig an skurrilen, aus anderen Zeiten stammenden Geistern, die Davids Pilgerreise begleiten: die geheimnisvolle Prager Fremdenführerin Jarmila, die ihn tröstet; deren verrückter Liebhaber; Davids bester Freund Gabriel, der dem Don Quichotte als Sancho Pansa beisteht, dessen maostischer Kumpel Napp.
Pathos und Humor gehen bei Zaimoglu Hand in Hand. In urkomischen Szenen beschreibt er das türkische Milieu in Kiel, groteske Männerrunden im anatolischen Krankenhaus oder die stupide samstagabendliche Suche beider Geschlechter nach der Lust für eine Nacht. Wie aber der Krimi zwischen David und Tyra am Ende ausgeht, soll hier nicht verraten werden.
„Nur wer die Sehnsucht kennt, weiß, was ich leide!“, dichtete Goethe. Feridun Zaimoglu hat die Sehnsuchtsprosa für unsere Zeit gefunden. Beiseitegewischt sind die herabgedimmten Mittdreißigergeschichten voll bemühter Melancholie, jene Protokolle der Zweisamkeitsernüchterung bei Rotwein, Musik und Zigarette, in denen Risikovermeidung herrscht und durchreflektierte Angst vor dem Scheitern faden Beziehungspragmatismus erzeugt. Völlig zu Recht ist „Liebesbrand“ für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert worden, der in wenigen Wochen verliehen wird.
Denn „Liebesbrand“ ist ein wuchtiges Plädoyer für jenes kopflose Wagnis zwischen Lächerlichkeit und Leidenschaft, genannt Liebe. Feridun Zaimoglu, lange schon in der ersten Reihe deutscher Schriftsteller, ist ein Roman gelungen, dessen Sog fortreißt, so wie es Literatur heute selten vermag. Und die Liebe höret nimmer auf: Wessen Herz noch schlägt, der wird sich in dieses Buch verlieben.
Feridun Zaimoglu: „Liebesbrand“. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2008, 375 Seiten, 19,95 Euro