: Meister im Krötenfressen
Plötzlich haben alle Angst vor hessischen Verhältnissen. Warum eigentlich? In Wahrheit sind die doch vorbildlich
Hessische Verhältnisse, das meint eigentlich italienische, will sagen, dass ein Land aus diversen Gründen unregierbar sei. Hessen jetzt auch in Hamburg? „Erbarmen, zu spät, die Hessen kommen“, intonierte schon die hessische Rockkapelle Rodgau Monotones in einem ihrer Altherren-Hits und empfahl dem „Babba“ auf diesen Schrecken einen Grappa. Den Hessen an sich, der den Politikern hinwählt, was ihnen nicht passt, gibt es gar nicht. Die echten Hessen wohnen nur in Nord- und ein bisschen noch in Mittelhessen.
Störrische Fußkranke
Deren Vorfahren, die Chatten, waren die störrischen Fußkranken der Völkerwanderung, die lieber südlich von Kassel daheimblieben. Ihr Name wurde im Lauf der Geschichte, in der sie als Restkelten den Römern und den Missionaren das Leben schwermachten, zu Hessen verballhornt. Hessen, das hieß fürderhin Expansion nach Süden und Teilung durch Erbschaft, Heirat, Intrige, eine schier endlose Reihe handgreiflicher und juristischer Gebietsstreitigkeiten zwischen Fürsten, Äbten, Raubrittern, Kaisern und Königen. Die Untertanen nahmen das meist hin. Nur die Preußen einten, und die konnte keiner ausstehen. Frankfurter Einladungen zum Ball trugen nach 1866 außer dem Kürzel für die Kleiderordnung gerne auch den Aufdruck „S. P.“, „Sine Preußen“.
Die Nordhessen waren nicht nur bodenständig, sondern auch bettelarm. Sie verdingten sich als Wanderarbeiter im Süden. Dort waren sie nur zeitweise gerne gesehen. „Hütet euch“, hieß es, „vor den Nordhesse, die habe grosse Schüssele und nix ze fresse“. Das heutige Hessen ist ein 1945 von der US-amerikanischen Militärregierung installiertes Kunstgebilde, in dem der Süden den Norden wie gehabt wirtschaftlich dominiert.
Vermeintliche Landessprache
Der main-fränkische Dialekt, fernsehgerecht verfremdet durch „Familie Hesselbach“ und den „Blauen Bock“, avancierte zur vermeintlichen Landessprache, blendete regionale Mundarten wie das nordhessische Platt, das Thüringische und die Idiome der Schwalm, der Wetterau und des Rodgau völlig aus. Die SPD, die das Land von 1946 bis 1987 ungebrochen regierte, machte sich in den Nachkriegsjahren um die Identitätsstiftung der Hessen von Kassel bis Wiesbaden verdient, schuf Gemeinschaftsveranstaltungen wie die Regionalsendung „Hessenschau“ und den Hessentag. Das prägte vor allem die Außenwahrnehmung. Seither babbelt der typische Klischee-Hesse, trinkt Ebbelwoi, isst Frankfurter Würstchen und Grüne Soße. Aber er ist dadurch längst kein Bayer geworden. Er bleibt separat.Wenn sich denn von hessischen Verhältnissen reden lässt, dann ergibt sich aus all dem, dass Hessen sehr kompromissfähig zu sein scheinen.
Mit Dachlatten traktieren
Die SPD regierte bisher mit CDU, dem Gesamtdeutschen Block-BHE, der FDP und den Grünen. Sie vereint in der eigenen Partei den eher rechten Flügel im Norden und den linken im Süden. Wie man Kröten frisst, machte ihr schon Ministerpräsident Holger Börner vor. Der koalierte 1985 mit den ungeliebten Grünen, obwohl er sie lieber mit der Dachlatte traktiert hätte. Er müsse, sagte der Ex-Bauarbeiter damals, „an den öffentlichen Frieden“ denken. Hessen blieb auch danach durchaus regierbar.
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