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Archiv-Artikel

„Gender geht uns alle an“

Kritiker werfen dem Sportgarten vor, nur Jungs zu berücksichtigen. In der taz streiten darüber Projektleiter Hanns-Ulrich Barde und Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe

Moderation: Eiken Bruhn

Frau Hauffe, der – bei Jugendlichen sehr beliebte – Sportgarten steht in der Kritik, zu wenig sensibel zu sein für Geschlechterfragen. Muss Jugendarbeit das unbedingt sein?

Ulrike Hauffe, Landesfrauenbeauftragte: Ja, ich finde schon. Wir haben in Bremen vor Jahren den Mädchenförderplan entwickelt – aus der Erfahrung heraus, dass Jugendfreizeitheime vor allem von männlichen Jugendlichen genutzt wurden und es qualitativ und quantitativ zu wenig für Mädchen gab. Pädagogik hat den Auftrag, auf eine Auflösung von Rollenklischees hinzuwirken, die Erprobung von geschlechtsfremdem Verhalten zu fördern. In der Mädchenarbeit wurden diese Ziele umgesetzt, und ich habe den Anspruch, dass auch andere Einrichtungen, ob für Jungen oder offen für beide Geschlechter, diesen Ansatz in ihre Arbeit integrieren.

Herr Barde, Sie sollen als Praktiker einen solchen Anspruch umsetzen. Geht das?

Hanns-Ulrich Barde, Pädagoge und Projektmanager des Sportgartens: Es stimmt, dass Einrichtungen für Jugendliche schnell von Gruppen geprägt werden. Die können einen ethnischen oder religiösen Zusammenhalt haben, es kann an Interessenslagen oder sozialer Schicht liegen oder am Geschlecht. Das ist ein Fakt, dem sich Jugendarbeit stellen muss. Das heißt aber nicht, dass man sagt, „wir machen mal die Tür auf, gucken wer kommt und bedienen die dann“!

Aber es gibt doch Gründe, warum die einen zu Ihnen kommen – und die anderen eben nicht.

Barde: Die liegen aber nicht immer auf der Hand. Zum Beispiel waren an der Entwicklung des Sportgartens Jungen und Mädchen gleichermaßen beteiligt. Die Jungen haben sich stark auf die Funktionalität der Anlage konzentriert, etwa auf die Auswahl der Belage für die Sportplätze. Die Mädchen hingegen – und man hat uns damals vorgehalten, wir würden damit ein Rollenklischee bedienen – haben sich für ästhetische Fragen und die Aufenthaltsqualität engagiert. Das hat sich als unglaublicher Vorteil für die Anlage erwiesen. Bei der Planung von Sportstätten kommen solche Aspekte oft zu kurz. Bei einem Projekt, das wir gerade planen, haben die Mädchen gesagt, sie möchten Räume für Selbstbehauptung oder zum Tanzen. Für die Jungen war der Outdoor-Bereich wichtiger. Das akzeptieren wir. Wir nehmen die Jugendlichen sehr ernst, ich möchte denen nicht ein Konzept überstülpen.

Hauffe: Ich gebe dir recht, Mädchen und Jungen sollen formulieren, was sie sich wünschen. Bekommen beide jeweils dazu wirklich eine reale Chance? Wenn man sagt, Jungen nehmen einen Platz in ihrer Weise ein und Mädchen in ihrer, dann fällt mir auf, dass das oft sehr stereotyp geschieht. Ich sehe, dass die Mädchen sich am Kletterfelsen gar nicht ausprobieren können, weil die Jungen unten stehen und sich einen abgackern. Oder in der Halfpipe sitzen Mädchen als Groupies und die Jungen zeigen ihnen ihre Pirouetten.

Barde: Die sind übrigens davon total genervt.

Hauffe: Das habe ich nicht gewusst. Ich frage mich, wie man als Pädagoge mit solchen Situationen umgehen kann. Gibt es Chancen des Eingreifens und Weiterentwickelns?

Barde: Ja und nein, es muss ja freiwillig sein. Frauen sind bei diesen Fun-Sportarten in der Minderheit, das stimmt. Ich frage mich selbst oft, woran es liegt. Am Risikoverhalten jedenfalls nicht, das erlebe ich in unserem Tier- und Landschaftsprojekt immer wieder. Wenn ein Junge vom Pferd gefallen ist, steigt er in 90 Prozent aller Fälle nicht wieder auf. Bei den Mädchen ist das fast umgekehrt. Nach einer Verletzung ist die erste Frage: „Wann kann ich wieder reiten?“

Hauffe: Mir geht es nicht um die Entscheidung für oder gegen eine Sportart. Ich meine eher die Art des Zusammenspiels, wenn dort Stereotypen gelebt werden, etwa dieses Lächerlichmachen.

Barde: Klar, verkehren im Sportgarten wie auf jedem Schulhof auch unangenehme Vertreter. Unser Konzept ist, dass wir denen nicht sagen, „ihr stört und müsst hier weg“ – mit dem Ergebnis, dass sie andernorts andere belästigen – sondern zum Einen setzen wir Grenzen bei unakzeptablem Verhalten, zum anderen versuchen wir, die Mädchen und Jungen zu stärken, damit sie sich behaupten und sagen: „Lass mich in Ruhe, das ist mein Raum, das musst du respektieren.“ Wir wollen Jugendliche stark und selbstbewusst machen. Es ist eine Lebenskompetenz, mit Konflikten umgehen zu können.

Ist Ihr Anspruch zu hoch, Frau Hauffe? Schließlich kann man den Sportgarten schlecht mit einem kleinen überschaubaren Mädchenprojekt vergleichen, wo man mit 15 Mädchen prima geschlechtssensibel arbeiten kann.

Hauffe: Ich glaube nicht. Ich finde es auch in Ordnung, wenn der Sportgarten vor allem von Jungen genutzt wird. Es bleibt aber auch dann der pädagogische Auftrag, wie man Respekt zwischen den verschiedenen Gruppen schaffen kann. Es geht schlicht um Chancengleichheit, das ist ein Auftrag in der öffentlich geförderten Jugendarbeit.

Barde: Und die gewährleisten wir. Aber: Wir sind kein reines Betreuungsprojekt. Wir können mithelfen zu verändern, aber es gibt Grenzen. Das gilt auch für andere Bereiche. Zum Beispiel, wenn wir mit den Schulen zusammenarbeiten, dann verändern wir nicht die Schule, sondern machen ein Bewegungsangebot mit der Schule.

Hauffe: Nein, dem muss ich widersprechen. Bewegungsangebote – die machst du nicht im luftleeren Raum, du machst sie in einem Wertesystem, und das muss Teil eines Konzepts sein, auch in der Geschlechterfrage. Ich glaube, dass es gut wäre, sich mehr mit den Mädchenpädagoginnen auszutauschen. Ich meine nicht, dass sie oder die Jungenpädagogen die Weisheit mit Löffeln gefressen haben, aber sie haben wegen ihres Profils eine höhere Kenntnis über geschlechtssensible Pädagogik.

Barde: Gender geht uns alle an. Keiner von uns sollte sich in seiner Nische einrichten und sagen: „Ich weiß wie’s geht“ und das dann unglaublich perfekt machen. Der Austausch und eine Planung mit und für Jugendliche im Stadtteil ist wichtig. Wir zum Beispiel haben unsere Stärken unter anderem im interkulturellen wie auch im koedukativen Bereich – dort, wo Mädchen und Jungen etwas gemeinsam machen. Wie und wo das funktionieren kann, darüber wird in Bremen noch viel zu wenig diskutiert.