: Lieber Barnabas!
RBS – Sein geheimes Tagebuch (2): Die Aufzeichnungen des legendären Hamburger Innensenators a. D., Ronald Barnabas Schill, weltexklusiv in der taz nord. Heute: Das Jahr 1996 / II – Die Lawine rollt an
12. Oktober
Barnabas, oh Barnabas, Sie haben uns alle ganz groß! So ein freudiger Schrecken! Kannst dir vorstellen, dass ich mir da erst mal einen kleinen Jäger gönnen musste. Am tollsten fand ich die MoPo – „Richter Gnadenlos“, das hat mich richtig stolz gemacht. Stell dir vor, mir ist sogar ein Gedicht eingefallen, ganz aus dem Stegreif, ich war selbst verblüfft. Es geht so: Ich bin der Richter Gnadenlos,/ Verbrecher jag ich ganz famos,/ Die Neger, die Linken, die Irren sperr’ ich ein, / Denn Hamburg, mein Hamburg, soll sauber sein/, Denn Ha-hamburg, mein Hamburg,… usw. Auf eine dieser schönen Melodien von damals, die Vater gelegentlich anstimmte. Stell dir vor, ich habe sogar ganz vergessen, wie jenes Lied hieß: Alles Gute geht verloren. Das macht die Gehirnwäsche der 68er mit ihrem ständigen Neger-Gequäke. Ich musste es jedenfalls die ganze Zeit vor mich hinsummen, auf dem Weg ins Büro und aufpassen, dass ich nicht laut zu singen anfange: Barnabas, du musst dich mäßigen!
23. November
auf dein Wohl, Barnabas, und herzlichen Glückwunsch! Du bist jetzt 38 Jahre alt, Richter auf Lebenszeit, alle Medien kennen dich, und wenn dich jetzt jemand fragt, ob du Senator werden willst – na, da sag ich nicht nein. Schau dir doch nur mal an, wie viel Briefe du bekommen hast. Und die Zeitungen erst! Waschkörbe!!! Und Maeffi ist am Boden. Der hat sich schon aufs Bitten verlegt – winsel, winsel, ich möge doch mein Amt freiwillig abtreten, winsel, winsel. Das zeigt ja nur dass er die Erfolgsaussichten seiner eigenen Bemühungen gegen mich nicht mehr allzu gut einschätzt. Abtreten? Ich? Mein Lebenszeitrichteramt? Da kann ich ja gleich mit dem Schraubenzieher losgehen und Autos zerkratzen.
Und wem verdankst du das alles? Vater. Wenn Vater nicht früh dafür gesorgt hätte, dass ich ohne Kommunisten aufwachse – was wäre dann aus mir geworden? Vater hat sich zwar immer schuldig gefühlt deswegen, aber es war doch eigentlich seine Pflicht, und die Staatspolizei war zwar geheim, aber sie hat den Staat vertreten, und wer den Staat vertritt, vertritt das Recht: So wie ein Richter. Und kann es denn einen besseren Kommunisten als einen toten Kommunisten geben? Für mich ist Opa jedenfalls sehr praktisch, so wie er ist: Erstens kann er nicht widersprechen, wenn ich mich auf ihn berufe. Und zweitens gucken die gesammelten 68er immer so betroffen, wenn ich sage, mein Großvater ist 1944 in Neuengamme … Dann fällt ihnen nichts mehr ein. Ha!, diese Schlappschwänze. Die Wahrheit ist ja, Opa gehörte in den Bau, ich würde nicht eine Minute zögern, ihn dorthin zu expedieren, jemand, der den Staat mit den Füßen tritt. Opa war ein Linker, und von solchen Leuten bekommt die rechtschaffene Mehrheit Magengeschwüre, wenn sie nicht im Bau stecken. Ein lebender Opa zum Preis von Millionen und Abermillionen magenkranker Deutscher – das wäre mein Rechtsempfinden nicht gewesen. Vater wird immer einen Platz in meinem Herzen haben – und Opa auf der Zunge. Direkt unter dem H[erpes].
Etwas habe ich mir noch zum Geburtstag geschenkt, das werde ich jetzt jedes Jahr so machen: Immer zu Geburtstag kommen so viele Akten, wie ich alt geworden bin, in W. [Ordner Wiedervorlage (1)]: Einfach die obersten 38 abzählen. Das ist ein bisschen wie Kerzen auspusten, findest du nicht?
PS: Den Jäger[meister] find ich nicht mehr standesgemäß. Aber Koks ist so verteufelt teuer.
(1) Als Schill mit Jahresbeginn 2000 ans Zivilgericht versetzt wird, findet sein Nachfolger im Ordner Wiedervorlage 225 unbearbeitete Fall-Akten.
Lesen Sie in der nächsten Folge: 1999 – ein Politiker ist geboren.