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Archiv-Artikel

Gäste oder Megawatt

Die beiden Kohlekraftwerke, die in Wilhelmshaven gebaut werden sollen, kommen bei den Nachbargemeinden nicht gut an: Sie befürchten, dass die hohen Schornsteine die Touristen vertreiben. Ärzte-Initiative warnt vor Feinstaub-Belastung

Kraftwerke im Norden

Norddeutschland mit dem Meer und seinen breiten, schiffbaren Flüssen ist attraktiv für die Betreiber von großen Kraftwerken: Mit dem Wasser lassen sich die Anlagen bequem kühlen. Und auf dem Wasser können die vielen Millionen Tonnen Kohle, mit denen die Anlagen gefüttert werden wollen, günstig herbeigeschafft werden. Die Region ist mit Wirtschaftskraft nicht eben gesegnet, so dass viele Stadträte die Kraftwerksbauer mit offenen Armen empfangen. Neben den Meilern in Wilhelmshaven sind drei große Kraftwerke in Brunsbüttel im schleswig-holsteinischen Kreis Dithmarschen geplant. Dagegen und gegen das Verbrennen australischen Sondermülls wird am Sonnabend demonstriert: Treffpunkt ist am kommenden Samstag, 12 Uhr, der Brunsbütteler Markplatz. Für das geplante Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg hat Greenpeace beantragt, das Genehmigungsverfahren auszusetzen, bis die politischen Verhältnisse geklärt sind.  KNÖ

VON GERNOT KNÖDLER

Wer aus dem Ruhrgebiet kommt, um sich in Tossens an den Strand zu legen, möchte nicht die gleiche Aussicht haben wie zu Hause, vermutet Meinert Cornelius. Der Bauamtsleiter der Gemeinde Butjadingen, zu der das Strandbad Tossens gehört, richtet einen sorgenvollen Blick auf das andere Ufer der Jade. Dort entwickelt die Stadt Wilhelmshaven ehrgeizige Wirtschaftspläne. Deren Erfolg könnte den Nachbargemeinden zum Misserfolg geraten.

Zurzeit werden in Wilhelmshaven zwei Kohlekraftwerksblöcke geplant – zusätzlich zu einem bestehenden. Die Nachbargemeinden, Wangerland im Norden und Butjadingen im Westen, befürchten nun, dass die Kraftwerke die Touristen vertreiben. Die kommen nämlich wegen der schönen Aussicht und der guten Luft – rauchende Schornsteine wären da kontraproduktiv. Der Jade-Weser-Port gleich nebenan, der vor Gericht gerade eine weitere Hürde genommen hat, macht die Sache auch nicht besser.

Am Jadeufer vor Wilhelmshaven steht bereits ein 800-Megawatt-Kohlekraftwerk des Eon-Konzerns. Das Unternehmen will einen weiteren Block zu 500 Megawatt bauen. Die Pläne hierzu liegen nach Angaben der Stadt bereits aus.

Für ein weiteres Kohlekraftwerk mit 800 Megawatt Leistung ganz in der Nähe hat sich die Firma Electrabel das Planrecht gesichert. Die Einwände gegen eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung wurden in der vergangenen Woche erörtert. Die Stadtverwaltung rechnet damit, dass bald ein Schornstein 180 Meter hoch in den Himmel wachsen könnte.

Für ein weiteres Kraftwerk gebe es eine Option, die allerdings frühestens 2020 wirksam werde, sagt Stadtsprecher Arnold Preuß. Die von einer kritischen Ärzteinitiative genannte Zahl von insgesamt 4.000 Megawatt entspreche dem theoretisch machbaren, so Preuß, und sei ein „Worst-Case-Szenario“.

Der Rat der Stadt Wilhelmshaven habe die Pläne für das Electrabel-Kraftwerk mit großer Mehrheit gebilligt. SPD, CDU und FDP waren dafür, Linke, Grüne sowie die Fraktion „Bildung, Arbeit, Soziales, Umwelt“ (BASU) dagegen. „Das werden wir auch bei den Plänen von Eon zu erwarten haben“, schätzt Preuß.

Wilhelmshavens „Vorranggebiete“ für die Industrie grenzen unmittelbar an das Gebiet der Gemeinde Wangerland. „Wir sind darum bemüht, dass sich die Industrie und der Tourismus auf Augenhöhe entwickeln“, versichert Gitta Heitmann, die stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde. Mit den geplanten Kraftwerken komme ein neuer Faktor ins Spiel. „Wir sind in Niedersachsen die zweitgrößte Urlaubsdestination“, sagt Heitmann. 3.600 Menschen arbeiteten hier im Tourismus. Die knapp 10.000 Einwohner der Streugemeinde beherbergten pro Jahr 1,8 Millionen zahlende Gäste. Der Doppelort Hornumersiel-Schillich ist als Nordseeheilbad anerkannt. Das Reizklima aus Sonne und Wind sowie die feuchte, salzhaltige Luft ziehen Genesung Suchende an.

Wenn Wilhelmshaven schon Kraftwerke bauen wolle, dann wenigstens keine staubigen und rußigen Kohlekraftwerke, fordert Heitmann nun. Ein Gaskraftwerk etwa wäre verträglicher. Dabei gibt die Gemeindebürgermeisterin zu: Wangerland würde wohl nur an einigen Tagen die Schadstoffe abkriegen. Der Wind kommt hier überwiegend aus West-Süd-West und bläst die Abgase aufs andere Jade-Ufer.

Hier liegt Butjadingen, auch so eine Streugemeinde. Wie Wangerland hat sie Einwände gegen die geplanten Kraftwerke vorgebracht. Die Kraftwerke bedrohten die Wirtschaftlichkeit der Strandbäder und Campingplätze der Gemeinde, so wird argumentiert. Schon eine Untersuchung zu dem möglichen Auswirkungen des Jade-Weser-Ports habe einen Rückgang der Gästezahlen prognostiziert.

„Bei schönem Wetter“, sagt Bauamtsleiter Meinert Cornelius, „könnten Sie meinen, Sie seien in Wilhelmshaven.“ Die Schornsteine, die die Schadstoff verteilen sollen, störten das Landschaftsbild. Außerdem schreckten sie die Gäste ab – auch wenn die Prognosen erwarten ließen, dass die einschlägigen Schadstoff-Grenzwerte unterschritten werden.

Eine Wilhelmshavener Ärzte-Initiative weist indes darauf hin, dass die in Deutschland geltenden Grenzwerte ein Vielfaches von dem betragen, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt. Überdies addierten sich die Schadstoffeinträge aus mehreren Kraftwerken. Schon heute werde am Jadebusen der deutsche Feinstaub-Emissionswert zu 65 Prozent ausgeschöpft.