ausgehen und rumstehen
: Wie Ver.di einmal die Gelegenheit verpasste, zur ästhetischen Moderne aufzuschließen

Der internationale Frauentag, der 8. März, sollte dieses Jahr ein sehr langer Tag werden. Schon vor Monaten hatten die Ver.di-Gewerkschaftsfrauen meine Gruppe Britta für ein Konzert engagiert. Zuerst hatte in der Band die Freude über den skurrilen Anlass überwogen, bald aber wurden grausige Details bekannt: Nicht nur dass der Auftritt um 10 Uhr (morgens!) stattfinden sollte, der Soundcheck war um 8 Uhr angesetzt!

Nun müssen ja selbst prekär lebende Freigeister ab und an einmal früh aufstehen, aber 8 Uhr – „Wie sollen wir das schaffen?“, fragte sich die Gruppe immer wieder. Und was soll eine Gewerkschaftsfrau mit zwei Stunden Britta-Liedern in der Früh anfangen? Aber in diesen schwierigen Zeiten müssen MusikerInnen halt extrem flexibel sein, und so überprüften wir unser Programm auf Gewerkschaftstauglichkeit. „Liebe wird oft überbewertet“ passe ganz gut, meinte der Schlagzeuger, Tariflöhne sind wichtiger! In „DJ Holzbank“ kommt immerhin das Wort „Klassenunterschiede“ vor, fügte ich hinzu.

Kurz nach acht trafen wir im Gebäude an der Schillingbrücke ein. Einige Ver.di-Frauen, allesamt etwa 55 plus, nicht magersüchtig und in Fleece-Wear, stellten in dem großen nüchternen Raum je einen Primeltopf auf die Resopaltische. Lila Luftballons wurden aufgeblasen, bunte Bastelkisten herumgetragen, Stellwände mit Plakaten bepinnt. Während des Soundchecks leerte sich der Saal, nur eine tapfere Bayerin kam entsetzt zur Bühne und flehte uns an aufzuhören. Während des folgenden leisesten Konzerts der Welt blickte man in viele unverständige Gesichter, aber es gab auch Applaus und neckisch-rockistische Huh! -Rufe. Ab und zu stand eine grauhaarige Seniorin auf und hielt sich demonstrativ die Ohren zu.

Direkt nach Verklingen des letzten Tones überlegte ich, dass nun die berühmte Liste „Das am schwersten verdiente Geld meines Lebens“ neu geschrieben werden muss. Bislang hatte sie die Teilnahme an einem Panel mit Thees Uhlmann angeführt, dem Sänger von Tomte, gefolgt vom Konzertbericht „Pur in der Waldbühne“ für die taz. Scheißjobs wie die Arbeit an einem Folienschweißgerät in einer Weddinger Fabrik oder das Preise-in-Wäschestücke-Einschießen bei Karstadt haben da weit weniger Wunden hinterlassen.

Nach einem besonders schlimmen Erlebnis muss man sich ja entweder betrinken, lange schlafen oder man tut viele angenehme Dinge – wie etwa ein Ausflug zum Haus der Festspiele. Rund um die Schaperstraße war der Wilmersdorfer Frühling ausgebrochen, erstes Grün zeigte sich, Andeutungen von Magnolienblüten in den gepflegten Parks. Festlich gestimmte Menschen kamen, um die Hommage an Klaus Nomi zu sehen.

Ein perfekter Termin für den 8. März, „Frauentag“ klingt ja inzwischen etwas altmodisch und sollte so langsam mal in „Gendertag“ umbenannt werden. Was passt besser zum Gendertag als Klaus Nomi, dem androgynen Countertenor, mit seinem Spiel der Identitäten! Geschlecht als Konstrukt! Leider wurde das Leben Nomis in einer Art christlichem Mysterienspiel auf seinen frühen Aidstod reduziert. „Vanitas!“ mahnten all Skelette, Knochengestelle und Totenmasken und ließen den Nomi-Fan traurig und verärgert zurück.

Zum Glück nahm der Abend dann doch noch ein heiteres Ende. Bei einer Creative-Network-Party in der Potsdamer Straße fand sich ein munterer „Rettet Britney“-Workshop zusammen. Und gegen den nordamerikanischen psychoanalytischen Ansatz konnte sich meine Idee eines antiautoritären Kreuzberg-Bootcamps für Britney Spears durchsetzen. Unter diesen frauensolidarischen Gesprächen endete dann endlich der 8. März.

CHRISTIANE RÖSINGER