: Inzest bleibt gesetzlich verboten
Karlsruhe lehnt Verfassungsbeschwerde ab. Bruder darf mit Schwester keine Kinder zeugen, sondern muss ins Gefängnis. Patrick S. und Susan K. wuchsen getrennt auf, haben vier Kinder. Die wesentlich jüngere Susan K. sei vom Bruder abhängig
VON CHRISTIAN RATH
Patrick S., der mit seiner Schwester vier Kinder gezeugt hat, muss bald wieder ins Gefängnis. Das Bundesverfassungsgericht lehnte gestern seine Verfassungsbeschwerde gegen das Inzestverbot ab. Weder die Strafnorm noch die konkrete Haftstrafe von insgesamt zweieinhalb Jahren verstießen gegen das Grundgesetz.
Patrick S. (31) und Susan K. (23) wuchsen getrennt auf, weil Patrick schon früh ins Heim gegeben und dann adoptiert wurde. Seine Schwester lernte Patrick S. erst kennen, als er im Jahr 2000 seine leibliche Mutter besuchte und zu ihr zog. Doch als die Mutter überraschend starb, waren die beiden Geschwister allein, gaben sich Halt und wurden zum Liebespaar. Susan war gerade 16.
Seitdem leben sie eheähnlich zusammen und haben trotz mehrerer Strafurteile bereits vier Kinder, zwei davon sind behindert. Nur eines durften sie behalten, bei den übrigen wurde ihnen das Sorgerecht entzogen. Die Anwälte von S. hielten das Verbot des „Beischlafs zwischen Verwandten“ für verfassungswidrig. Moralische Abscheu rechtfertige keine Strafe. Einvernehmliche sexuelle Beziehungen dürften nicht bestraft werden.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts sah dies nun anders. Der Gesetzgeber verfolge mit dem Verbot Zwecke, die „in ihrer Gesamtschau“ den Eingriff in das sexuelle Selbstbestimmungsrecht rechtfertigten.
So sei der Geschwisterinzest unvereinbar mit dem „traditionellen Bild der Familie“. Wenn Kinder entstehen, komme es zu komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen und sozialen Rollenverteilungen. Es sei nachvollziehbar, dass Kinder aus Inzestfamilien Probleme hätten, ihren Platz im Familiengefüge zu finden und vertrauensvolle Beziehungen aufzubauen. Die Richter stützten sich hierbei auf Angaben des Vereins M.E.L.I.N.A. (Inzestkinder/Menschen aus VerGEWALTigung).
Als weitere Begründung für das Inzestverbot akzeptierten die Richter den Versuch, „Erbschäden“ zu vermeiden. Es gebe empirische Studien, die die erhöhte Gefahr erblicher Schädigungen von Inzestkindern belegten. Schließlich sei das Inzestverbot geeignet, so die Richter, den in einer inzestuösen Beziehung unterlegenen Partner zu schützen. Oft sei dieser nicht in der Lage, sich aus einer derartigen Verbindung zu lösen, vor allem wenn der Inzest schon im Kindesalter begann. Auch die konkrete Verurteilung von Patrick S. ließen die Richter unbeanstandet, da seine Schwester „wesentlich jünger“ und „in erheblicher Weise von ihm abhängig“ sei.
Die Entscheidung fiel mit 7 zu 1 Richterstimmen. Dabei kam es unter den acht Richtern zu einem seltenen Bündnis konservativer Männer und linker FeministInnen. Nur Winfried Hassemer, der liberale Vizepräsident des Gerichts, wollte das Verbot des Geschwisterinzests wegen Unverhältnismäßigkeit aufheben. Der Karlsruher Beschluss verpflichtet den Bundestag nicht, das Verbot aufrechtzuerhalten. Mit entsprechender Mehrheit könnte es abgeschafft werden. (Az.: 2 BvR 392/07)