die taz vor zehn jahren über die grüne Losung „5 mark pro liter benzin“
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Wenn Politiker in der Klemme sind, behaupten sie gern, ihr Anliegen sei in der Öffentlichkeit nicht richtig verstanden worden. In der Regel ein wenig originelles Manöver, um politische Fehler als PR-Problem zu etikettieren. Doch bei den Grünen stimmt der Satz ausnahmsweise: Keiner versteht sie. Ihre Forderung, den Spritpreis deutlich zu erhöhen – und die Besteuerung der Arbeit zu senken –, ist sachlich richtig, präzise ausgearbeitet und begründet. Trotzdem purzeln seitdem ihre Umfrageergebnisse in den Keller. Niederschmetternd für grüne Strategen ist gar nicht einmal, dass nur 13 Prozent die „Fünf Mark“-Parole unterstützen. Das, könnte man sagen, ist halt so: Wer Verzicht und eine ökologische Wende will, kann auf allseitiges freundliches Kopfnicken kaum rechnen (auch wenn es nicht schlau ist, ein halbes Jahr vor den Wahlen mit der Tür ins Haus zu fallen). Verheerend ist hingegen, dass die Losung auch im eigenen Lager nicht ankommt: Mehr als ein Drittel der grünen Anhänger lehnen „Fünf Mark“ ab. Die grüne Losung funktioniert somit in keiner politischen Logik. Auch die eigene Klientel würdigt den Benzinbeschluß nicht als Signal, dass man sich tapfer gegen den Automann Schröder wehren will. (…) Die Grünen laufen Gefahr, wieder auf einem Platz zu landen, den sie mühsam verlassen hatten: als verblasene Idealisten. Damit drohen sie nicht nur der schwächelnden Koalition auf die Beine zu helfen – auch Schröder nutzt die Chance, um jovial kundzutun, dass derlei utopischer Kinderkram mit ihm nicht zu machen ist. Fünf Mark Spritpreis in zehn Jahren zu fordern ist ein taktischer Fehler. Denn die Wähler interessiert, was jetzt geschehen soll – nicht, was 2008 an deutschen Tankstellen sein wird. Zurück können die Grünen nur um den Preis, als Opportunisten zu gelten. So müssen sie differenzieren, umständlich erklären, um Hintzes Angstkampagne zu dämpfen. Aber in welchem Wahlkampf hat man je auf Differenzierungen gehört?

Stefan Reinecke, 16. 3. 1998