: Uni-Testlauf vor dem Abi
Jessica geht noch zur Schule, aber trotzdem sitzt sie bereits in ganz normalen Uni-Vorlesungen. „Frühstudium“ nennt sich die Einrichtung für besonders gute Schüler. Genau daran entzündet sich die Kritik
Ihren ersten Uni-Schein hat Jennifer Däter in der Tasche. Abitur macht sie aber erst im Mai. Die 19-Jährige besuchte im vergangenen Wintersemester die Vorlesung „Graphentheorie“ an der Hochschule Bremerhaven. Graphentheorie? „Das ist Teil des Informatik-Grundstudiums und hat mit dem Datentransfer zu tun“, erklärt Jennifer.
Sieben so genannte Frühstudierende gab es letztes Wintersemester an der Hochschule Bremerhaven. Sie wurden vergangenen Donnerstag vom Konrektor für Studium, Lehre und Forschung für ihre Leistungen ausgezeichnet. Frühstudierende können reguläre Lehrveranstaltungen besuchen, Referate halten und Klausuren schreiben. Im echten Studium – nach dem Abitur – können sie sich ihre Leistungen anrechnen lassen.
Diese Möglichkeit ist noch relativ neu. Erst 2005 begannen Universitäten, Programme einzurichten. Sie sollen den unterschiedlichen Lernbedürfnissen von SchülerInnen entgegenkommen.„Das ist für die wirklichen Überflieger gedacht“, sagt Karla Götz, Sprecherin des Bremer Bildungsressorts. Dementsprechend nutzen nur wenige SchülerInnen das Angebot. In Bremen, wo es das Frühstudium an der Universität Bremen und der Hochschule für Künste gibt, blieben die Zahlen im einstelligen Bereich, so Götz. An der Universität Göttingen gibt es an allen Fakultäten Frühstudierende, erklärt Pressesprecherin Marietta Fuhrmann-Koch. „Das ist bei uns grundsätzlich in jedem Studiengang möglich.“
Jennifer legte ihr Frühstudium als „Test“ kurz vor dem Abitur ein. „Das war eher eine pragmatische Idee“, sagt sie. „Ich möchte später Informatik studieren, da muss ich mich mit Graphentheorie eh irgendwann beschäftigen.“ Die Bedingung waren sehr gute Schulleistungen und die Empfehlung ihrer LehrerInnen, dass sie ihr die Doppelbelastung aus Schule und Uni zutrauen. „Das war bei mir ein bisschen der Knackpunkt“, berichtet Jennifer. Einige LehrerInnen waren nicht begeistert – Überschneiden sich Vorlesung und Unterricht, fällt der Unterricht für die Frühstudierenden aus, der verpasste Stoff ist eigenständig aufzuholen.
„Bei der hohen Belastung ist das Frühstudium eine Einzelmaßnahme für wenige“, kritisiert Bernd Winkelmann, Landesvorstandssprecher der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Bremerhaven. In Zukunft komme noch die Verkürzung der Oberstufe auf acht Jahre hinzu. „Das Gymnasium wird so verdichtet, dass die Chance bald nur noch auf dem Papier besteht“, meint Winkelmann.
Jennifers Programm ging oft von acht Uhr morgens bis sechs Uhr abends: Vorlesung, Schulunterricht, Übung, Bibliotheksrecherchen – und dann noch Lernen für die Schule. Eine zusätzliche Physikveranstaltung habe sie deshalb auch wieder abgebrochen. Antje Möbus, Sprecherin und Vorstandsmitglied des Zentralelternbeirats Bremen, schätzt dieses Pensum unproblematisch ein: „Der Stress nimmt mit hoher Eigenmotivation eher ab“, sagt sie. „Es müssen die Guten und die Schwachen gefördert werden.“ Das Frühstudium sei eine gute Maßnahme für SchülerInnen auf Universitätsniveau.
„Das war schon viel Stress“, so Jennifer rückblickend. „Aber es hat mein Vorhaben, Informatik zu studieren, bestärkt.“ Und ihr Weihnachtszeugnis sei genauso gut wie immer gewesen.
TERESA HAVLICEK