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Archiv-Artikel

„Glaube als Sonderangebot“

Nach kritischen Berichten über homophobe und sexistische Inhalte des Christivals hat sich die Bremische Evangelische Kirche hinter das Jugendfest im Mai gestellt. Zum Ärger einiger Pastoren

BERND KLINGBEIL-JAHR, geboren 1962, ist evangelischer Theologe und Pastor der Friedensgemeinde im Viertel.

Interview: Eiken Bruhn

taz: Herr Klingbeil-Jahr, der Schriftführer der Bremischen Evangelischen Kirche (BEK) unterstützt das Christival. Ist das in Ihrem Sinne?

Bernd Klingbeil-Jahr: Ich halte es nicht für nötig, die Funken auszutreten, die das Christival schlägt. Die Kirche sollte in der Lage sein, eine kritische Debatte zu führen und sich nicht als monolithischer Block darzustellen, der sie nicht ist.

Die Debatte hätten Sie doch anzetteln können, indem Sie auf das Schreiben der Bischöfe reagiert hätten.

So wichtig finde ich diese Veranstaltung nun auch wieder nicht. Als wir gefragt worden sind, ob wir dem Christival unsere Räume zur Verfügung stellen würden, haben wir das abgelehnt. Mit fundamentalistischer Missionsarbeit können wir uns nicht identifizieren.

Wie definieren Sie fundamentalistisch?

Fundamentalisten geben auf Fragen, die eine sehr komplexe Lebenswirklichkeit aufwirft, sehr schlichte, geradezu billige Antworten. Das ist eine ängstliche Reaktion auf Verunsicherung.

Eine Orientierung zu bieten ist doch nicht verkehrt.

Dagegen ist nichts einzuwenden, es sei denn, die Regeln erweisen sich nicht als lebenstauglich. Es wird nicht alles gut, wenn man sich „für Jesus entscheidet“ und dann ein Regelwerk befolgt, das strikt in Gut und Böse unterteilt.

Die Bibel taugt nicht als Orientierung?

Doch, das tut sie. Um es mit einem Bild des brasilianischen Befreiungstheologen Leonardo Boff zu sagen: Die Bibel ist wie eine Schreibtischlampe. Blicke ich direkt hinein, bin ich geblendet und sehe nichts. Richte ich ihr Licht aber auf die Lebenswirklichkeit, dann hilft sie mir zu erkennen. Plötzlich begreife ich tiefere Zusammenhänge des Alltags. Glauben ist ein Prozess, der ist mühevoll und mit Zweifeln verbunden, nicht etwas, was plötzlich da ist, seit meinem Erweckungserlebnis gestern um 17.30 Uhr, wie es sektiererische Gruppen gern behaupten.

‚Mühevoller Prozess‘ – damit locken Sie keinen Hund hinterm Ofen hervor. „Jesus und alles wird gut“, klingt besser.

Wenn man Glauben als Ware betrachtet, haben die Fundamentalisten immer die besseren Verkaufschancen. Aber wir sollten keine Sonderangebote machen. Es geht nicht um Konsum, sondern darum, das Leben besser bewältigen zu können. Hier kann der Glaube helfen.

Aber wie, wenn man sich an diesem nicht festhalten kann, sondern zu weiteren Zweifeln geführt wird?

Eine wichtige Erkenntnis der Bibel ist: Jeder Mensch hat eine unverkäufliche Würde. Es geht um eine Haltung zum Leben, das viel mehr ist als Kaufen und Verkaufen.

Dafür braucht es nicht die Bibel, es reicht das Grundgesetz.

Das Grundgesetz ist ein Ergebnis auch christlichen Nachdenkens. Für mich drückt die Bibel außerdem eine Verheißung aus, „so könnte das Leben sein, nach dem wir uns sehnen“. Die Sonderangebote versprechen die Sehnsucht zu stillen, sie betäuben sie wie eine Droge, anstatt sie wach zu halten.

Aber wenn’s dem Einzelnen hilft?

Für den 13-jährigen Teenager, der zum Christival geht und sich dort aufgehoben fühlt, mag das attraktiv sein. Gefährlich wird es, wenn es dabei bleibt. Das Problem mit den Fundamentalisten ist, dass sie Konflikte ausblenden, sie wollen das Böse und ihre Ängste bannen, anstatt auf sie zuzugehen. Sie tendieren dazu, Teile der Wirklichkeit auszugrenzen und neigen so zur Selbstgerechtigkeit, nach dem Motto: „Ich habe Jesus in der Tasche und stehe deshalb auf der richtigen Seite.“

Sie haben ihn nicht in der Tasche?

Nein, niemals! Marx würde sagen, damit wird Jesus zum Fetisch, zu einem Talisman. Aber: ich habe doch nicht automatisch recht, bloß weil ich Christ bin. Jesus begegnet mir im offenen Dialog mit anderen Menschen, vielleicht im obdachlosen Atheisten.

Hinter dem sind doch auch die Fundamentalisten her: die Christival-Teilnehmer werden ermutigt, ihn in der Straßenbahn und in Supermärkten zu suchen und ihm „von Jesus zu erzählen“.

Das ist doch genau der Unterschied! Nehme ich den anderen als Betreuungsobjekt wahr, der meine Wahrheit einfach noch nicht verstanden hat oder ist er oder sie ein Subjekt, dem ich zuhöre? Ich muss damit rechnen, dass ich von meinem Gegenüber eine Botschaft empfange, die ich nicht erwartet habe.

Aber gefährlich ist das immer noch nicht, oder? Schließlich werden in Deutschland keine Ärzte erschossen, die Abtreibungen vornehmen. Und verfolgt werden sie auch nicht mehr…

Das stimmt, Memmingen ist 20 Jahre her. Gefährlich finde ich aber schon eine schwarz-weiße, allzu schlichte Geisteshaltung, denn sie neigt zur Gewalt.

Die Mission von Anders- und Nichtgläubigen, die das Christival bezweckt, wäre gewalttätig?

Der Missionsbegriff erfährt tatsächlich gerade eine Renaissance in der Evangelischen Kirche und soll positiv besetzt werden. Ich finde, das geht nicht, weil Mission im Kolonialismus einfach mit Gewalttaten verbunden ist, da klebt Blut dran. Und wer nach Auschwitz noch für die Judenmission eintritt wie in Bremen die Matthäus-Gemeinde, der pervertiert den Glauben.

Wie stark sind die Fundamentalisten in der BEK?

Weltweit haben sie großen Zulauf. In der BEK sind sie nicht so stark, wie es scheint. Aber laut. Dabei treffen sie auf eine gelegentliche Konfliktscheu in der Kirche: es bloß mit niemandem zu verderben.