Der Druck muss bleiben

Spielt der VfL Wolfsburg jetzt um die Champions League? Nicht, dass Trainer Felix Magath wüsste. Dabei sieht es nach dem 3 : 2 über Hannover ganz danach aus – die oberen Plätze sind nah wie nie

Da war jene Aggressivität zu erahnen, die Magath aus einem Klub herauslocken will, der es früher gemütlich angehen ließ

von PETER UNFRIED

Wenn eine Mannschaft aus zehn Rückrundenspielen 23 Punkte geholt hat, derzeit die beste der Liga ist und Platz drei gerade noch vier Punkte entfernt ist, dann wird man in der Regel einen aus dem Team dazu bringen, von internationalen Zielen zu sprechen. Beim VfL Wolfsburg redet auch nach dem 3 : 2 über Hannover 96 kein Spieler davon. „Ich weiß auch nicht, wer ihnen das verboten hat“, sagte Trainer Felix Magath. Er selbst jedenfalls nehme sich daran ein Vorbild.

Fakt ist: Die VW-Tochter VfL Fußball GmbH, die vor ein paar Jahren gern im Zusammenhang mit der Konzern-Zielvorgabe Champions League verhöhnt wurde, ist so nah dran wie in den zehneinhalb Bundesligajahren nicht – sieht man mal von der eher zufälligen Uefa-Cup-Teilnahme 1999 ab. Sieben Spiele sind es noch, darunter direkte Duelle in Leverkusen und gegen den VfB Stuttgart, dann kann man doch …? „Wir brauchen gar nicht erst anfangen zu rechnen“, sagt Magath. Weil: Abgerechnet werde „zum Schluss“. Er hat selbstverständlich noch jede Menge dieser Stereotypen drauf – und aus seiner Sicht gute Gründe, sich damit zu schützen.

Der VfL ist derzeit in einer selten komfortablen Situation. Magath wäre töricht, würde er den Erfolg seiner ersten Saison in Wolfsburg drangeben und eine neue Zielvorgabe machen, die das Erreichte am Ende zu einer Enttäuschung reduzieren könnte. Nach zwei mit Mühe und Not vermiedenen Abstiegen hat man die Klasse diesmal sehr früh gehalten. Die Positiv-Bilanz weist aus: 43 Punkte, 12 Siege, eine solide Auswärtsbilanz, die Rückgewinnung alter Heimstärke.

Gegen Hannover war zu sehen, was dieses Team im Vergleich zur Vorrunde weiter vorangebracht hat: Mit Keeper Diego Benaglio wurde die personelle Qualitäts-Achse vergrößert. Seit dem Wechsel auf eine Dreierreihe vor der Abwehr werden die Bahnen von Paaren und damit besser verteidigt. Weitere Pluspunkte sind eine hohe Zweikampfstärke, ein genereller Punch und die neue Tiefe des Kaders. Die Stürmer Džeko und Dejagah waren zuletzt im Tief und nur noch Ergänzungspieler. Gegen 96 mussten sie ran und wurden zu Spielentscheidern. Das Augenmerk ruhte hinterher selbstverständlich stärker auf Ashkan Dejagah, 21. Vor dem Spiel hatte Magath ihn persönlich kritisiert: Er sei zu defensivschwach für den Flügeljob. Und er identifiziere sich nicht mit dem Job als Angreifer. Nach dem Spiel lautete die Bilanz: zwei Tore (20., 71.) und die Hilfestellung zu Marcelinhos 2 : 1 (29.)

„Ich fand ihn heute nicht so gut“, sagte der Chef auf die entsprechende Frage. Es ist eine Strategie, die Magath bewusst pflegt – dass man bei ihm nie weiß, wo man dran ist. Diesmal war ihm die Stille im Raum dann offenbar doch zu viel, so dass er das Rätsel auflöste: Es war Ironie! Dejagah sei „natürlich überragend“ gewesen: „Er hat uns das Spiel gewonnen.“ Sturmkollege Edin Džeko, 22, schießt zwar derzeit keine Tore, arbeitete aber viel, häufig auch effektiv. Er bereitete beide Dejagah-Tore vor.

Die Partie auf völlig durchnässtem Rasen hatte übrigens erstaunliches Niveau. Beide Teams wollten ihr Spiel durchsetzen und erarbeiteten sich ihre Chancen. Den Ausschlag für den „nicht ganz unverdienten Sieg“ (Magath) gab die halbe Stunde nach der Pause. Da machte der VfL mächtig Dampf, auch dank des eingewechselten Hasebe, und erarbeitete sich das vorentscheidende 3 : 1.

Es war Nationaltorwart Robert Enke, der 96 im Spiel hielt. Einen Wechsel zum FC Bayern kann Enke übrigens nicht in Aussicht stellen. Der Job sei seines Wissens an Michael Rensing vergeben, sagte Enke. Für Hannover (Tore: Bruggink, 27., Štajner, 79.) ist nach verkorkster Rückrunde die Saison gelaufen. Tabellarisch kann man sie wegen der starken Vorrunde gemütlich zu Ende spielen, emotional fühlt sie sich jetzt negativ an. „Jetzt“, sagte Trainer Dieter Hecking mit Blick auf die Tabelle, „ziehen die auf Platz 5, 6 und 7 davon.“

Siebter ist Wolfsburg. „Wir haben unsere Ziele für dieses Jahr erreicht“, sagt Magath, „wir haben keinen Druck.“ Stimmt. Aber es war interessant zu sehen, wie er unmittelbar nach Marcelinhos Tor an der Seitenlinie seinen Verteidiger Marcel Schäfer am Trikot zerrte. Schiedsrichter Merk hätte ihm eigentlich mindestens Gelb dafür zeigen müssen. Da war jene Aggressivität zu erahnen, die Magath aus einem Klub herauslocken will, der es seiner Meinung nach früher eher gemütlich angehen ließ und in dem er nun einen zuvor unbekannten Druck aufgebaut hat. Nicht einmal Kapitän Marcelinho kann sicher sein, dass er am Freitag in Nürnberg auflaufen wird. Keine Frage: Die Spannung beim VfL Wolfsburg ist so hoch wie nie.