: Die Urne liegt jetzt im Sozialgrab
Die Versuche, das eigene Leben zu meistern, misslangen. Larmoyant ist trotzdem keiner in Gerd Kroskes Trilogie der Leipziger Straßenkehrer, die zu den besten Langzeitbeobachtungen des Dokumentarfilms gehört. Heute im Arsenal
Gerd Kroske ist ein ziemlich guter Dokumentarfilmer. Mag sein, dass das auch daher kommt, dass der gebürtige Dessauer durchaus auch einige Erfahrungen im nichtmedialen und außeruniversitären Leben gemacht hat. Kroske ist gelernter Betonwerker, war in der Jugendkulturarbeit tätig und arbeitete auch als Telegrammbote.
Seine filmischen Lehrjahre fielen in die Umbruchzeit. Von 1987 bis 1991 arbeitete er als Autor und Dramaturg an der Filmhochschule Konrad Wolf in Babelsberg. Seit 1989 macht er eigene Filme, lehrt zwischendurch auch ein bisschen. Zusammen mit unter anderem Thomas Heise und Andreas Voigt gehört er zu der Wendegeneration der Ostdokumentaristen, deren oft preisgekrönte Werke ab 1990 für viel Diskussionsstoff sorgten. Seine eher zurückhaltenden Dokumentationen, mittlerweile sind es 13, spielen nicht nur im Osten, sondern auch in Westdeutschland, zum Beispiel auf St. Pauli, wie „Der Boxprinz“ (1999) über einen durch seinen skandalträchtigen Kampfstil und kriminelle Verwicklungen berüchtigten Boxer, und sein letzter Film „Wollis Paradis“, der auch wieder eine Hamburger Geschichte aufgreift. 1996 gründete er mit realistfilm auch seine eigene Produktionsfirma.
Das Arsenal zeigt nun heute als Berliner Premiere die drei Teile von Kroskes Leipziger Straßenfeger-Trilogie „Kehraus“. Der nur dreißigminütige erste Teil („Kehraus“) ist ästhetisch, in tollem Schwarz-Weiß fotografiert, sicher am schönsten, aber gleichzeitig noch relativ weit entfernt von seinen Protagonisten. Die Straßenreiniger, die nach einem Auftritt von Helmut Kohl dessen Dreck für vier Mark die Stunde wegmachen, illustrieren vor allem den Zusammenbruch der DDR.
„Sensibel wird das Thema verfehlter Lebensträume behandelt“, schrieb das Leipziger Tageblatt im November 1990 und meinte damit auch die DDR. „Kehraus“ ist so auch zu einem Requiem geworden. Wunderschön abschiedlich glänzt das Licht auf dem nassen Asphalt.
Im „Kehrein, Kehraus“ (von 1997), dem zweiten Teil der eher zufällig entstandenen Trilogie, lernt man die Helden aus der DDR-Unterschicht besser kennen. Ihr Weg ging nach unten. Alkohol und Arbeitslosigkeit spielen tragende Rollen. Im dritten Teil „Kehraus, wieder“ setzt sich die Abwärtsbewegung fort. Bei der Straßenreinigung arbeitet keiner mehr. Es geht um „Alkoholismus und diese Problematik“, um Einsamkeit auch und wie man die Langeweile der Arbeitslosigkeit totschlägt. Einer spielt zwölf Stunden am Tag Computerspiele. Einmal hätte er auch 56 Stunden am Stück gezockt.
Zwei der Helden sind nun tot. Einer hatte monatelang unentdeckt in seiner Wohnung gelegen. Seine Urne liegt nun in einem Sozialgrab. Unglücklich wie ein Sozialarbeiter sei er, sagt der Filmer, er hätte auf glücklichere Lebenswege gehofft. Er agiert zwar zurückhaltend, versteckt sich aber nicht wie so viele Dokfilmer hinter seinen Helden.
Die Stadtlandschaften sind schön und zugleich abweisend. Die Tochter eine der Heldinnen erzählt in dem Heim, in dem sie lange war, dass ihr Stiefvater sie jahrelang missbraucht hat. Als sie ihre Mutter das erste Mal damit konfrontierte, hätte die geantwortet: „Was meinst du, was der mit mir immer gemacht hat.“
Die Versuche, das eigene Leben zu meistern, misslangen. So ist es eben. Larmoyant ist keiner der ehemaligen Straßenkehrer. Der Film ist warmherzig, ohne aufdringlich zu sein.
Als „Kehraus, wieder“ 2006 beim Dokfilmfest in Leipzig Premiere hatte, waren viele der überlebenden Protagonisten gekommen. Die anschließende Diskussion war sehr schön, fast festlich. Es ging darum, wie sich das Bild im Film von der Selbstwahrnehmung unterscheidet („ich finde mich gut getroffen“), was für einen Einfluss die Bebilderung auf das eigene Leben hatte („beruflich hat mich das nicht weitergebracht“). Manches war auf den ersten Blick vielleicht überraschend. Die Tochter, die von ihrem Stiefvater missbraucht worden war, wurde gefragt, ob sie sich über diese Dinge mit ihrer Mutter außerhalb des Films ausgetauscht hätte. Die Mutter (die auf der Bühne neben ihr stand) sei dazu wohl noch nicht bereit oder fähig, sagte die Tochter.
Es gibt einige sehr ins Private gehende Dokumentarfilme, wo es ähnlich ist, in denen die oft traumatisierten Helden vor der Kamera weiter gehen, als sie es in ihrem wirklichen Leben getan hätten. Nur sehr selten verlängert sich die therapeutische, objektivierende Arbeit der Kamera ins echte Leben.
DETLEF KUHLBRODT
Im Arsenal, nur heute, Donnerstag, ab 19 Uhr: „Kehraus“, 1990, 30 Min., „Kehrein, Kehraus“ 1996/97, 70 Min. Ab 21 Uhr „Kehraus, wieder“ 2006, 99 Min. Gerd Kroske ist bei beiden Vorführungen anwesend