Hitler als Bettvorleger

Eine Inszenierung von Taboris „Mein Kampf“ in Freiburg entfacht die Debatte über die Darstellbarkeit des Faschismus

Darf man über Hitler oder den Holocaust lachen, und vor allem: Wer darf das? Ob es Dani Levy, Walter Moers oder Harald Schmidt dürfen, darüber wird in Deutschland mit zuverlässiger Regelmäßigkeit gestritten. Ausgenommen von diesem Streit war stets der 2007 verstorbene Dramatiker George Tabori. Als Jude und Sohn eines im KZ ermordeten Vaters war er der Verharmlosung unverdächtig.

In seinem Stück „Kannibalen“ ließ er 1969 KZ-Häftlinge einen Mithäftling verspeisen, was den damaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde von Berlin, Heinz Galinski, in Rage brachte. Tabori durfte in „Mutters Courage“ zeigen, wie seine bauernschlaue Mutter dem KZ durch einen Trick entkam. Und er durfte in seinem erfolgreichsten Stück, der Farce „Mein Kampf“, Hitler als durchgeknallten Versager und grotesken Zwangsneurotiker vorführen. In einem Männerwohnheim wird Hitler darin vom Juden Shlomo Herzl bemuttert, zum Buchtitel „Mein Kampf“ inspiriert und vor dem Tod errettet. Ein Herzl – nicht durch Zufall Namensvetter der Gründerfigur des Zionismus Theodor Herzl – als Hitler-Ermöglicher! Weder ist Tabori in Israel besonders bekannt, noch ist „Mein Kampf“ dort jemals inszeniert worden. „Das Stück wäre eine Provokation und würde nicht verstanden“, sagt der 43-jährige Regisseur Avishai Milstein aus Tel Aviv. Nun hatte seine Inszenierung von „Mein Kampf“ im Freiburger Off-Theater „E-Werk“ Premiere.

Milstein ist mutmaßlich der erste Israeli, der das Stück inszenierte. Nach einem Interview in einer israelischen Zeitung wurden dort Vorwürfe gegen Milstein laut: Eine Verharmlosung des Holocaust sei das Stück, die gefährliche Relativierung eines Monsters. Milstein lässt „Mein Kampf“ nicht im Männerwohnheim spielen, sondern im KZ Theresienstadt. Die Bühne ist in einen kalten Keller verlegt, die Zuschauer bekommen Decken und Choralnoten in die Hand gedrückt und gehen an Pritschen und putzenden Häftlingen vorbei, bevor sie sich in ausländische KZ-Besucher verwandeln, denen Schauspielerinnen als KZ-Aufseherinnen Kekse reichen.

Trotz der authentisch wirkenden Drohkulisse bleibt ein Unbehagen, denn es scheint fraglich, ob eine KZ-Wirklichkeit mit wohlgenährten deutschen Schauspielern überhaupt funktioniert. Wo die Grenze der Darstellbarkeit liegt, wird in Israels Kunstszene trotz der Proteste gegen Milsteins Freiburger Inszenierung allerdings sehr viel offener ausgehandelt als in Deutschland. Man erinnere sich an die Kunstaktion des Mexikaners Santiago Serra, der vor zwei Jahren Autoabgase in eine Kölner Synagoge leiten wollte, um, wie er sagte, gegen die Banalisierung der Erinnerung anzugehen. Nach Einspruch des Zentralrats der Juden wurde dies sofort gestoppt.

Umstritten war in Israel etwa eine Aktion des Künstlers Boaz Arad aus Tel Aviv. Er zeigte in der Galerie Rosenfeld Hitler als Bettvorleger, mit Blickkontakt auf ein Bild von Theodor Herzl. Arad führte Hitler-Videos vor, in denen er aus Hitlers aggressiven deutschen Silben die hebräischen Worte „Friede, Jerusalem, ich entschuldige mich“ bastelt und Hitlers Bart zum Vollbart Theodor Herzls werden lässt. Für Boaz Arad sind Hitler und Herzl „der böse und der gute Vater Israels“. Auch eine andere Arbeit in Israel sparte vor einigen Jahren nicht an Drastik. „Lebe und stirb wie Eva Braun“, ein pornografisches Pseudo-Drehbuch des heute 44-jährigen Roee Rosen, wurde 1997 im ehrwürdigen Israel-Museum von Jerusalem ausgestellt und heftig diskutiert. Zuschauer wurde damals zu schwarz-weißen Comicbildern – Vaginas und Hakenkreuzen – aufgefordert, sich in Eva Braun einzufühlen: erotische Urinierszenen, kurz bevor sie von Hitler umgebracht wurde.

Rosen versetzte die Zuschauer in einen Zustand, der verführerisch und problematisch zugleich ist und ihnen den eigenen Voyeurismus vor Augen führt. „Über das, was in Auschwitz geschah, kann ich nicht sprechen“, so der Künstler, „ich spreche über zeitgenössische Bewusstseinszustände und darüber, wie sich die Behandlung des Holocaust rituell und klischeehaft in unsere Köpfe eingebrannt hat.“ Vielleicht ist das die einzige relevante Frage, die nach jahrzehntelangen Darstellbarkeitsdebatten noch interessant ist und mit der Freiburger Inszenierung von Tabori zumindest erneut aufgeworfen wird.

DOROTHEA MARCUS