: Die Untermieterin Kunst
Die Verlagsherstellerin und Galeristin Julie August zeigt Kunst in ihrer Privatwohnung. Jeden zweiten Monat drängen sich in der 18m Galerie für Zahlenwerte zwischen Bücherregal und Kinderzimmer die Besucher. Augusts Tochter hat Spaß daran
„Nest.Privatissimum“ wurde am Wochenende eröffnet. Es ist die 16. Ausstellung in Julie Augusts Schöneberger Wohnzimmergalerie. Die Fotos und Installationen von Stefan Canham, Sebastian Koth, Beatrice Minda, noname und Julia Kissina kreisen rund ums Thema Nest, Geflecht und Privatraum. Geöffnet ist die Ausstellung wieder am 8. Mai um 18 Uhr zur Finissage in der Akazienstraße 30. Mehr Informationen unter www.18m-galerie.de.
VON NINA APIN
Wäre die 18m Galerie ein Buch, dann ein schmales mit sehr unauffälligem Einband. Erst auf den zweiten Blick finden viele das Klingelschild, auf dem in dünnen goldenen Lettern „Galerie für Zahlenwerte“ steht. In der Wohnung im zweiten Stock der Akazienstraße 30 ist neben der Galerie auch die Familie August zu Hause. Die Kunst ist eingeklemmt zwischen dem Familienleben im Kinderzimmer, am Küchentisch und im von Büchern überwucherten Büro.
Die 18m Galerie ist eine der ungewöhnlichsten Kunstausstellungsräume der Stadt. Eine Privatwohnung, die alle zwei Monate zur Kunstausstellung wird. „Hier wohnt die Kunst“, sagt Galeristin und Wohnungsinhaberin Julie August und deutet auf ein rechts vom Flur abzweigendes Zimmer. Es klingt, als spräche sie von einem Kind. Der Bretterverschlag, der sich in der Mitte des ansonsten leeren Raums erhebt, ist ein Gast auf Zeit. Das „Nest“ des Künstlers, der sich „noname“ nennt, ist Teil der aktuellen Ausstellung zum Thema Nestbau. Bis zum 8. Mai wird das innen mit Fotos und Zeichnungen beklebte Gebilde in den Raum wuchern, dann muss es Platz machen für den nächsten Gast.
Eigentlich, sagt August, könne sie sich diese teuren Untermieter überhaupt nicht leisten. Für sie und ihre 14-jährige Tochter seien fünf Zimmer und 160 Quadratmeter viel zu viel, die Miete fräße fast ihre ganzen Einkünfte. Auf die Kunst mag August trotzdem nicht verzichten: „In einer ganz normalen Wohnung zu leben wäre mir zu langweilig.“
Links ist das Büro, in dem die Grafikerin selbst alle Kataloge erstellt. Dann der Flur, in dem Fotos von Stefan Canham aus Bauwagen-Interieurs hängen, an einer Tür sieht man auf einem Flachbildmonitor die Künstlerin Julia Kissina Kunstkataloge lesend auf dem Klo sitzen. Privater geht’s nicht, auch wenn hinter dem Monitor gar nicht die Toilette, sondern die Abstellkammer liegt. In wenigen Minuten werden die Vernissagenbesucher kommen und mit Weingläsern in der Hand durch die Wohnung trampeln – auch durchs Schlafzimmer, in dem gegenüber dem ordentlich gemachten Bett das teuerste Exponat hängt: ein hell erleuchtetes Zimmer der Fotografin Beatrice Minda.
Findet August es nicht seltsam, dass Wildfremde den Inhalt ihres Bücherschranks inspizieren können, ihre Schuhe und den Stundenplan ihrer Tochter am Kühlschrank? „Ich räume natürlich vorher gut auf“, sagt August, „und das Zimmer meiner Tochter bleibt verschlossen.“ Aber mehr an Privatsphäre brauche sie auch nicht: „Der Galeriebetrieb kommt meinem Bedürfnis nach permanenter Veränderung entgegen“, sagt die 37-Jährige, die keine Rastlosigkeit ausstrahlt, sondern beherrschte Energie.
Schon während ihres Studiums an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst schwankte sie zwischen ihren Vorlieben Buchgestaltung und Ausstellungskonzeption, ihre Abschlussarbeit war eine Ausstellung mit Katalog. Den Job als Herstellerin beim Wagenbach Verlag nahm sie der Tochter zuliebe an. Doch bald boten die sattsam bekannten Abläufe nicht mehr genug Abwechslung. Die Lösung kam im August 2004: Julie August bezog eine Wohnung in Wilmersdorf mit einem 18 Meter langen Flur. Die als Wohnraum unnutzbare architektonische Skurrilität münzte sie zur Galerie um: Sie lud ehemalige Kommilitonen ein, Grafiken zu zeigen, druckte Einladungskarten und kaufte ein paar Flaschen Wein. Die Leute kamen in Scharen, tranken, unterhielten sich bestens und kauften sogar.
„Auf meinen Vernissagen verhalten sich die Leute anders als im White Cube“, findet August. Wer mit einem frisch gebrühten Kaffee in der Küche stehe, sondere keine hohlen Phrasen ab: „Gegen kunsttheoretisches Gewäsch bin ich seit meinen Unitagen allergisch“. Allergisch waren auch ihre Wilmersdorfer Nachbarn gegen den Vernissagenlärm. Nach der zweiten Ausstellung war Schluss, sie musste ausziehen. „An diesem Punkt musste ich mich entscheiden“, sagt August. „Entweder die Kunst aufgeben oder den Verlag. Oder weiter den Spagat versuchen.“ Sie entschied sich für den Spagat. Und dafür, weiter sämtliche Gesetze des Kunstmarkts zu ignorieren: keine festen Öffnungszeiten, kein Setzen auf große Namen, kaum Alleinvertretung von Künstlern. Die 18m Galerie lebt vom Charme des Persönlichen, ein handgeschriebener Gruß auf jeder Einladungskarte, liebevoll gestaltete Flyer.
Manche mögen August als Romantikerin belächeln mit ihrem Wunsch, die Kunden mögen sich in einzelne Werke verlieben. Jede der von zumeist jungen Künstlern speziell für die Wohnung konzipierten Ausstellungen wird sorgfältig kuratiert und von einem Rahmenprogramm aus Lesungen, Vorträgen oder Konzerten begleitet. Zur Ausstellung über das ehemalige Rundfunkgelände Nalepastraße gab es eine Lesung aus dem Buch „Die rote Burg“. Zur Nestausstellung referiert eine Biologin zu Nestbau im Tierreich.
Vom sensationell langen Flur der ersten Wohnung bleibt in der neuen Schöneberger Wohnung nur der Name – und die Vernissagentermine, die stets am 18. des Monats ab 18 Uhr stattfinden. Dafür stört sich hier niemand an der stetig wachsenden Fangemeinde, die alle zwei Monate in den zweiten Stock steigt, um dort über Kunst zu reden, Wein zu trinken, Vorträge zu hören oder Bekannte zu treffen.
„Wer einmal den Weg zu mir gefunden hat, kommt meist wieder“, sagt August und arrangiert kleine Käsestücke auf Tellern. Dann kommen sie. Nach und nach strömen Leute in die Wohnung, bevölkern den Gang, diskutieren. Die ersten lassen sich schon auf ein Schwätzchen im Schlafzimmer nieder. Julie Augusts Lebensgefährte schenkt Wein aus, die Tochter faltet im Büro Flyer: „Irgendwer muss ja dafür sorgen, dass das Material nicht ausgeht“, sagt sie ernsthaft. Ob sie nicht manchmal gern in einer ganz normalen Wohnung leben würde? „Nö, wieso“, sagt sie. „Wir essen fast jeden Abend zusammen mit Künstlern. Wenn mal keiner kommt, sag ich immer: Mama, willst du nicht jemanden einladen, es ist doch sonst nichts los.“ Aus dem Leben der Familie August ist die Untermieterin Kunst nicht mehr wegzudenken.