Der amerikanische Freund

Wir haben Mondlandungen und das Internet gekriegt. Aber der alte Blues erzählt vom Wesentlichen, wie Holly Golightly im Knaack bewies

Fast traurig, allein auf ein Konzert von Holly Golightly zu gehen. Zum Ausgleich war es voll. Und die Engländerin Holly Golightly, unterdessen auch nicht mehr die Jüngste, war nicht allein gekommen, sondern mit Begleitband, die The Brokeoffs heißt und in Wahrheit nur aus einer Person besteht, nämlich aus Hollys Freund Lawyer Dave. Ganz offensichtlich ein Amerikaner. Ein wichtiges Detail, eine den Abend sehr bestimmende Angelegenheit.

Holly Golightly macht inzwischen seit gut zwanzig Jahren Musik, die streng genommen äußerst retro ist und ihre Vorbilder in Musiken hat, die ganz bestimmt vor 1967 aufgenommen wurden. Psychedelik, Kunstrock, Popmusik im modernen Sinne, jegliche Form von aufgelöster Songstruktur oder gar elektronische Elemente: mehr als fremde Welten für Holly. Sie pflegt lieber das gute, alte Bluesschema in verschiedenen Tempi und Stimmungen und singt mit ihrer rotzigen Stimme über große Themen wie Liebe und Verbrechen. Einmal im Jahr lässt sie sich mit Begleitung in Ber- lin blicken, vorzugsweise im Knaack an der Greifswalder Straße, einem fürs neue Berlin und seine junge Ausgehkultur unterdessen geschichtsträchtigen Ort. Ihr amerikanischer Freund Lawyer Dave hatte ein Fußschlagzeug dabei, mit dem er den Beat trat. Ansonsten gab es Hollys Rhythmusgitarre, zuweilen schönen Duettgesang und Daves Soloeinlagen auf der Slidegitarre.

Das Publikum, gut zusammengepackt, international besetzt und in mindestens zwei Generationen unterteilbar, war’s größtenteils zufrieden. Dumm war, dass die einzigen Freiräume im Saal von sichtblockierenden Säulen beschattet waren. Dumm war, dass das Rauchverbot im ganzen Knaack galt und man zum Rauchen schon in den Hinterhof musste. Dumm eben auch, dass es so voll war – aber getanzt wurde eh nicht, ledig- lich manchmal locker die Hüf- ten geschwungen. Oder auf der Stelle gewippt. So wie es die große Holly Golightly im schrulligen Westernkleid mit Angebergürtel auf der Bühne vormachte. Dass es nichts zu tanzen gab, lag aber nicht nur an der fehlenden Band, sondern auch an der Musik selbst. Die fußte auf amerikanischen Traditionen. Es gab Rhythm-and-Blues-Nummern, schrullige Countrystandards und zuweilen wenigstens andeutungsweise zum Grunge neigende Garagepunkfeger.

Für ausschweifende, exaltierte Bühnenshows ist Holly seit je nicht die Richtige. Die Unterhaltung fand also auf musikalischer und verbaler Ebene statt. Golightly und Dave tauschten sich spitzfindig über amerikanische oder englische Klischees aus, neckten sich, gaben Erklärungen zu den meist kurzen Songs ab und witzelten über schräge Dinge wie den „Eurovision Song Contest“ oder den ewig brennenden „Fire Tire“ in New Jersey. Es gab Halloweenlieder und solche über „domestic violence“. Ihre einzige Ausschweifung in psychedelischer Richtung, bekannte Golightly zwischendrin, sei nicht von Drogen beeinflusst, sondern von „bad meat“.

Für Holly Golightly ist das Zulassen von Slidegitarre und Sololastigkeit vermutlich schon eine Weiterentwicklung. Sie macht seit Jahrzehnten Platten, früher mit den Headcoatees, dann allein, die Musik variiert nur in Details. Gut und tröstlich ist ihre Musik trotzdem. Ihr Gesang, ihr stolzer Vortrag, das ewig Bestechende der ältesten Popmusik der Welt werden immer wie- der helfen, geht es um den Beweis von Stolz, um Liebeskummer oder das Gegenteil davon: „I wanna hold you, kiss you, hug you, squeeze you till my arms fall off.“ Es geht ums Wesentliche. Dass es inzwischen Mondlandungen, Diskotheken und das Internet gegeben hat und gibt, ist dabei nicht wichtig.

RENÉ HAMANN