Viele schöne Zufälle

Das von Köln nach Berlin umgesiedelte Elektronik-Label Areal macht verspielt-überdrehten Analogsound, der sich angenehm vom monotonen Einheitsgestampfe der Konkurrenz absetzt

VON TIM CASPAR BOEHME

Manchmal braucht es nur einen Raum, in dem Ideen entstehen können. Als die drei Musiker Michael Schwanen, Sebastian Riedl und Matthias Klein vor sieben Jahren in Köln das Elektronik-Label Areal gründeten, wollten sie eigentlich bloß eine Studiogemeinschaft bilden. Das gemeinsame Studio war ihr Areal, aber auch „a-real“, also fernab einer vorgegebenen Realität. „Wir haben uns dann gegenseitig beeinflusst, und der Sound wurde immer mehr eine bestimmte Art von Musik“, erinnert sich Michael Schwanen. Der unverwechselbare Klang dieses Labels mit seinen überdrehten, leicht kaputten Analog-Synthesizern und der stets hörbaren Freude am Verspielten hat sich unabsichtlich entwickelt.

Der Zufall spielt bei Areal tatsächlich eine wesentliche Rolle. So wohnen Michael, der unter dem Namen „Metope“ Musik produziert, und Sebastian alias Basteroid zwar mittlerweile in Berlin, Michaela Dippel, die als Ada mit ihrer Mischung aus Techno und Pop den Stil von Areal schon früh maßgeblich mitgeprägt hat, bleibt weiterhin in Köln. Zufällig ist sie zum Interviewtermin aber ebenfalls gerade in Berlin und meint, Areal sei „nicht vom Berlin-Sound infiziert“. Der Areal-Sound ist ganz im Gegenteil so eigen, dass die drei beschlossen haben, für ihre verschiedenen musikalischen Interessen ein Sublabel zu gründen. Der Name „IRR“ kam – natürlich – zufällig ins Spiel: „Sebastian und ich haben am Bahnhof auf den Zug gewartet und so aus Spaß mit Namen gespielt“, so Michael. „Und auf einmal kamen wir auf „International Records Recordings‘ – das klang so bescheuert, dass es uns total gut gefallen hat.“

Mit der soeben erschienenen Platte „Solitaire“ von John Daly hat das Label einen großartigen Start hingelegt. Die Musik des irischen Produzenten kann man als „Deep Space House“ im besten Sinne des Wortes bezeichnen. In seinen stark reduzierten Produktionen drosselt er das Tempo und legt darüber sphärische Klänge, die eher aus dem Space Rock als aus der House-Tradition zu stammen scheinen. Das Ergebnis ist „fast schon psychedelisch“, so Michaela, die John Daly entdeckte. Eigentlich war der Grund für das Sublabel laut Michaela ein ganz anderer: „Wir hatten Sachen auf unseren Festplatten, bei denen wir dachten, die würden zu Areal nicht passen. “

IRR ist nicht das erste Sublabel von Areal. Seit dem Jahr 2007 gibt es AR, „Anderground Resistance“, wie Michael zum Spaß einwirft. AR bräuchten sie, weil manche ihrer Produktionen für Areal zu dunkel und technoid seien, findet Sebastian: „Bei Areal hat alles so einen gewissen Humor, der ist immer spürbar.“ Bei AR sind bisher zwei düster-metallische Platten von Metope erschienen. Was an Areal besonders beeindruckt, ist die Konzentration auf das eigene Ding. Statt als DJs zu arbeiten, verdienen die drei Musiker von Areal ihr Geld mit Live-Auftritten. Dadurch habe man einen anderen Blick auf die Arbeit am Label, so Sebastian: „Wir sind alle Künstler, und für uns ist das Label eine Art Kunstwerk, das weitergebastelt wird. Wir machen, was wir toll finden, und das über einen sehr langen Zeitraum.“ Selbst die Covergestaltung mit ihren klasse naiv-düsteren Zeichnungen stammt von Sebastian selbst. Dass ihre von Trends weitgehend unbehelligte Arbeitsweise nach wie vor aktuell ist, zeigte Basteroid im vergangenen Jahr mit seinem Debütalbum „Upsets Ducks“, das mit seinem aus dem Vollen schöpfenden Sound vorführte, was Techno heutzutage jenseits von detailverliebtem Minimalismus sein kann. Die allgemeinen Tendenzen in der Elektronikszene sieht Sebastian allerdings nicht sonderlich optimistisch. Es sei zwar immer einfacher und billiger geworden, Musik zu produzieren, was aber nicht zu verblüffenderen Ergebnissen führt: „Eigentlich ist es total widersinnig, dass es immer mehr Releases gibt, aber immer weniger Vielfalt. Es wird alles in Genres gepresst. Als wir mit Areal angefangen haben, war das Tolle diese Unbefangenheit.“

Aus der Nische, in die sich die Technoszene mittlerweile eingekuschelt hat, möchten alle drei gern heraus. Für Michael ist es ein Hoffnungsschimmer, dass ausgerechnet Richie Hawtin, der Minimal-Produzent schlechthin, als DJ vor kurzem Michael Jacksons „Billie Jean“ gespielt hat. Michaelas Erfahrungen mit dem King of Pop waren da ernüchternder: „Ich habe neulich „Human Nature‘ von Michael Jackson gespielt, als ich aufgelegt habe. Ich hatte schon ein bisschen viel getrunken und bin aus Versehen beim falschen Lied gelandet. Und dann dachte ich, vielleicht umarmen sich die Leute jetzt auf der Tanzfläche. Das ist aber leider nicht passiert.“

Zuletzt erschienen: John Daly „Solitaire“ (IRR), Basteroid „Upsets Ducks“ (Areal)