„Die Eisenbahngesellschaft ist Geschichte“

Die Bahn AG will ein globaler Mobilitätskonzern sein, der von China bis Kanada agiert. Das ist richtig so – deshalb ist die nun beschlossene Teilprivatisierung ein Schritt in die richtige Richtung, meint der Verkehrsexperte Andreas Knie

ANDREAS KNIE, 47, ist Professor für Soziologie mit Schwerpunkt Technikforschung an der TU Berlin und Geschäftsführer des Innovationszentrums für Mobilität und gesellschaftlichen Wandel (InnoZ), an dem u. a. die Deutsche Bahn AG beteiligt ist. Er ist zudem Bereichsleiter der DB Rent GmbH, die u. a. call a bike anbietet und zur Deutschen Bahn gehört. Außerdem arbeitet er beim Wissenschaftszentrum Berlin (WZB).

taz: Herr Knie, die SPD will 24,9 Prozent der Verkehrsgesellschaften der bundeseigenen Deutschen Bahn AG verkaufen. Was halten Sie davon?

Andreas Knie: Grundsätzlich ist das der richtige Weg. Die Deutsche Bahn AG braucht als moderner Mobilitäts- und Logistikdienstleister viel Geld, um sich im globalen Wettbewerb zu positionieren – und um sich im deutschen Wettbewerb besser an Kundenwünschen orientieren zu können.

Warum muss sich die Bahn überhaupt global aufstellen und etwa Lkw-Flotten in Rumänien oder Hafenbeteiligungen in China kaufen?

Die Welt ist nun einmal global hoch vernetzt. Als Anbieter von Logistikdienstleistungen kann man sich nicht auf einen lokalen Markt begrenzen, dann verliert man im Wettbewerb.

Würde es nicht reichen, mit Geschäftspartnern im Ausland Kooperationen zu suchen? Wozu teure Beteiligungen?

Die Bahn kauft ja nicht alles auf, sondern sie sucht sich ausgewählte Beteiligungen. Man muss aber eigentumsrechtliche Titel auch im Ausland erwerben, um kooperationsfähig zu werden. Eigentumserwerb und Kooperationen gehören zusammen. Nur mit Kooperationen geht es aber nicht, weil damit die gewünschte Geschäftspolitik nicht durchgesetzt werden kann.

Reicht Ihnen ein Verkauf von 24,9 Prozent der Anteile?

Nein. Um langfristig global und national Produkte und Dienstleistungen mit hoher Qualität anbieten zu können, braucht die Bahn sehr viel Geld, Finanzmittel, die nicht aus öffentlichen Haushalten finanziert werden können.

Warum verkauft man nicht die lukrative Logistik und investiert die Einnahmen in den Personenverkehr?

Nur theoretisch wäre dies eine Lösung. Denn das wäre ein Schlag ins Kontor der integrierten Verkehrsdienstleistung, die ja viele Synergien bringt. Auf diese würde man dann verzichten.

Andere deutsche Konzerne – etwa Daimler – sind mit der weltweiten Expansion gescheitert. Warum soll das ausgerechnet bei der Bahn besser laufen?

Weil man aus dem Scheitern Lehren ziehen kann. Die Bahn baut das Ganze nicht im Hauruckverfahren auf, sondern kontinuierlich. Wenn man z. B. Güterverkehr in Deutschland auf die Schiene bringen will, muss man die Container schon in Russland oder China abholen. Ähnliches gilt auch für den Personenverkehr: Man muss Verkehrsdienstleistung von Haus zu Haus anbieten. Gibt es Angebotslücken, springen Wettbewerber hinein.

Der Nahverkehr muss also in der Fläche ausgebaut werden?

Ja, die Menschen wollen ja von Haus zu Haus und nicht von Bahnhof zu Bahnhof. Die Verkehrsmittel müssen aber ökonomisch und ökologisch sinnvoll eingesetzt werden. Dort, wo es keine gebündelten Verkehre mehr geben kann, muss man die Bahn ersetzen – etwa durch Busse, Taxen oder Mietwagen.

Für Sie wäre es also kein Problem, in dünn besiedelten Regionen Strecken stillzulegen?

Nein, im Gegenteil. Eine Strecke, die sich mangels Nachfrage nicht bewirtschaften lässt, kann man nicht betreiben, auch aus ökologischen Gründen. Wenn der Staat solche Strecken aus regionalpolitischen Gründen vorhalten will, ist das keine unternehmerische Aufgaben mehr, sondern eben eine staatliche. Dies wird in der Öffentlichkeit oft verwechselt.

Aber auch im Fernverkehr drohen Ausdünnungen auf wenig frequentierten Strecken.

Wenn der Staat z. B. in Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt, wo kaum noch Menschen in der Fläche wohnen, aus politischen Gründen Eisenbahnverkehr haben will, muss er ihn bestellen und auch finanzieren. In solchen Regionen reichen die Einnahmen bei weitem nicht aus, um die Schieneninfrastruktur zu finanzieren. Andere Verkehrsmittel sind hier ökologisch und ökonomisch sinnvoller.

Es ist doch psychologisch ein Unterschied, ob zwölfmal am Tag ein Zug fährt oder viermal am Tag ein Bus.

Das glaube ich nicht. Wenn der Bus, der günstiger ist, auch zwölfmal täglich fährt und attraktiv vermarktet wird, steigt möglicherweise noch die Akzeptanz.

Sind Ihnen die Kunden zu wenig rational?

Die Menschen sind eigentlich alle Eisenbahnliebhaber, aber sie nutzen die Bahn nicht so, wie es für den flächendeckenden Betrieb nötig wäre. Eine hohe Angebotsqualität mit vielen Verbindungen bis in die kleinsten Städte hinein kann leicht bis zu 30 Milliarden Euro kosten. Diese Pufferküssermentalität hilft daher nicht weiter. Moderne Gesellschaften brauchen auch moderne Verkehrsmittel. Wo viele Menschen gebündelt unterwegs sind, gewinnt die Schiene an Bedeutung, dort muss ausgebaut werden, in schwachlastigen Regionen brauchen wir individuelle Lösungen. Ein Zurück in die Eisenbahngesellschaft der 20er und 30er wird es nicht geben. INTERVIEW: RICHARD ROTHER