„Jung sein ist immer schwierig“

Rocko Schamoni erzählt in seinem Roman „Dorfpunks“ von seiner Punk-Jugend in einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein. Am Mittwoch hat die Theaterfassung des Romans am Hamburger Schauspielhaus Premiere – und Schamoni hat mit seinen Kollegen von Studio Braun Regie geführt

ROCKO SCHAMONI, 41, heißt eigentlich Tobias Albrecht, wuchs in Lütjenburg in Schleswig-Holstein auf und lebt in Hamburg. Schamoni ist Musiker, Autor, Betreiber des Golden Pudel Club in Hamburg und Mitglied des Telefonstreich-Trios Studio Braun. Sein zweiter, bislang erfolgreichster Roman „Dorfpunks“ erschien 2004.

INTERVIEW: KLAUS IRLER

taz: Herr Schamoni, auf Ihr autobiographisches Buch „Dorfpunks“ folgt nun das Theaterstück und im August starten die Dreharbeiten für die Verfilmung. Was ist an Ihrer Jugend so bedeutsam, dass man Sie so intensiv aufarbeiten kann?

Rocko Schamoni: Ich glaube nicht, dass sie so bedeutsam ist. Letztendlich zieht der Erfolg des Buches eine gewisse Verwertungskette nach sich. Dagegen habe ich auch nichts. Aber ich habe gerne Einfluss drauf.

Worin geht es in dem Theaterstück „Dorfpunks“?

Es geht im Theater genauso wie im Buch ums Erwachsenwerden. Um Ausbruch und die vergebliche Suche nach Freiheit. Und um Tristesse auf dem Land. Es geht um Gewalt zwischen Jugendlichen, die unvermeidbar ist in dem Alter. Man muss sich diesen Themen stellen, wenn man 16, 17 ist, und das versuchen wir rauszufiltern aus dem Buch. Daraus machen wir kleine Kosmen, die wir nebeneinander packen. Man wird das Buch nicht unbedingt wiedererkennen.

Welche Rolle spielt dabei der Punkrock?

Der Punkrock ist nur ein Beispiel für etwas, das schon viel älter ist. Man nutzt eine Jugendbewegung aus, um sich zu lösen von der Welt und man selbst zu werden. Und dafür war Punkrock damals grandios.

Ihre Geschichte spielt Anfang der 1980er Jahre. Wie funktioniert der Ablösungsprozess bei den heutigen Jugendlichen?

Durch den Zusammenbruch des Ostens hat es in der Jugendwelt einen Wegfall von politischen Idealen gegeben. Wir waren zwar nicht politisch mit 16 aber wir dachten, wir wären es. Es war eine krude Vorstellung davon, was es heißt, links zu sein. Das gibt es heute nicht mehr, es ist weggewischt worden und es bleibt nur noch die Berichterstattung über die 68er übrig als Beweis dafür, dass das nicht klappen kann. Deswegen ist es sehr schwierig geworden, sich zu organisieren. Es gibt keine geeinte Gruppe mehr. Zu Anti-Globalisierungs-Kampagnen kommen dann verschiedenste Leute zusammen.

Aber ist das schlimm?

Das ist zum einen schrecklich, zum anderen aber auch nachvollziehbar. Denn die Vergangenheit hat bewiesen, dass die Visionen häufig überzogen waren. Ich glaube, dass wir den 68ern wahnsinnig viel zu verdanken haben. Aber letztlich waren die Träume von damals nicht durchsetzbar. Das scheinen die Jugendlichen von heute auch zu wissen. Sonst würden sie diese Visionen ja weitertragen.

Ist es deswegen heutzutage schwieriger jung zu sein als Anfang der 1980er?

Jung sein ist immer schwierig, egal, ob vor hundert Jahren oder jetzt. Ich glaube aber, dass es schwieriger geworden ist, einen Rückzugsort zu finden. Es gibt nicht mehr den Rückhalt einer Bewegung.

Die Punk-Bewegung lebte von der Suche nach Alternativen und von der Verweigerung – und damit kommen Sie jetzt im Schauspielhaus an, einer Bastion der Arriviertheit. Ergibt sich daraus ein Problem?

Ja. Ich habe auch drei Jahre lang gesagt: Es ist unmöglich, das zu machen. Das sind fremde Welten.

Aber Sie haben Ihre Meinung geändert.

Das Haus hat uns gebeten, „Dorfpunks“ zu machen. Nachdem „Phoenix“, das Stück zu „Fleisch ist mein Gemüse“ von Heinz Strunk, sehr gut gelaufen ist, haben wir noch mal mit dem Haus gesprochen. Dann haben wir ewig darüber debattiert, ob man das darf und ob das geht. Und haben dann gesagt, wir müssen extrem darauf achten, dass wir nicht versuchen, Punk auf einer Theaterbühne zu spielen. Das fände ich wahnsinnig peinlich.

Was tun Sie stattdessen?

Wir haben wir uns Überhöhungen gesucht und Psychedelisierungen und Bilder ausgewählt, die zwar schon mit Punkrock zu tun haben, aber auch etwas ganz anderes heißen können. Bilder, die sich eher um den Archetyp des Jung-Seins und Aufbrechens drehen anhand des Beispiels von Punkrock. Da geht es bei uns ins Filmische oder Märchenhafte. Ich will nicht verraten, was wir da genau gemacht haben, sonst steht das ja in der Zeitung.

Es gibt also auf der Bühne keine Leute mit Irokesenschnitt und Nietengürtel?

Nein, es gibt Leute, die haben so Müll-Schrott angezogen. Das Stück spielt in der frühen Phase des Punkrock, in der alles neu erfunden wurde von den Jugendlichen. Da wurden Klamotten von den Eltern aufgetragen oder man hat sich einen BH angezogen und dazu einen Müllsack.

Wer hat die Bühnenfassung erstellt?

Studio Braun plus unsere Dramaturgin Gabriella Bußacker.

Spielen Sie auch mit auf der Bühne?

Ja. In fünf kleinen Rollen.

Also spielen Sie sich nicht selbst.

Nein, zum Glück nicht. Ich war ja schon mal ich selber, das war beschissen genug.

Der Roman ist ja auch ein Erinnerungsbuch, er erzählt keine Geschichte mit einer Dramaturgie …

Sowas finde ich auch langweilig. Das Leben ist für mich anders.

Nämlich wie?

So wie ich es aufgeschrieben habe. Wie ein langer ruhiger Fluss. Es gibt natürlich interessante Geschichten bei Leuten, bei denen sich etwas dramatisiert. Bei mir war das nicht so. Es kam ein Tag nach dem anderen und die meisten waren beschissen.

Gibt es in der Bühnenfassung eine Geschichte?

Ja, aber auch eine offene Geschichte. Es gibt eine Attraktion zwischen zwei jungen Menschen und grauenhafte Erwachsene. Und es gibt eine sonderbare Märchenwelt, in der Sachen passieren, die sehr rätselhaft sind.

Sie führen zu dritt Regie mit den anderen Mitgliedern von Studio Braun. Das klingt kompliziert.

Ist es aber nicht. Heinz Strunk saß häufig zu Hause und hat noch Texte nachgeliefert. Jacques Palminger und ich sitzen vor Ort und sind uns meistens sofort einig, wenn wir was gesehen haben. Wenn Heinz im Theater dabei ist, gehen wir raus mit der Dramaturgin und der Regieassistentin und sprechen uns ab, damit wir eine Stimme haben. Das dauert sieben Minuten und dann verkündet einer die Wahrheit. Und die ist meist mit zehn Augen gesehen klarer, als wenn es nur einer sehen würde.

Haben Sie noch Kontakt zu praktizierenden Punks?

Ich kenne noch einige auf dem Land, die sind dann aus meiner Generation. Aber zu den jungen habe ich keinen Kontakt.

Werden sich die Leute, die im Buch vorkommen, das Stück anschauen?

Die werden kommen. Partyschaum, mein bester Freund von damals, spielt auch mit. Ich weiß von Lütjenburgern, die per Charterbus anreisen wollen.

Erwarten Sie, dass es Ärger gibt?

Wenn jemand tatsächlich aus Lütjenburg nach Hamburg kommt und sich ein Stück über Lütjenburg ansieht, dann glaube ich, dass er sich amüsieren will. Ich weiß, dass es Leute in der Stadt gibt, die das Buch hassen und mich dafür verachten. Aber die kommen nicht ins Theater weil sie wissen: Da geht die Schweinerei nur weiter.

„Dorfpunks – die Blüten der Gewalt“: Premiere am 30. April im Schauspielhaus Hamburg. Nächste Vorstellungen: 1. 5., 14. 5. und 18. 5., jeweils 20 Uhr