: Dürftige Beweislage
Vier Flüchtlinge aus dem Abschiebelager Bramsche-Hesepe standen am Montag vor Gericht: Sie sollen ein Stück des Lagerzaunes umgeworfen haben und wurden wegen Landfriedensbruches angeklagt. Das Gericht stellte drei der Verfahren ein
aus Bersenbrück CHRISTIAN JAKOB
Es ist kein Gefängnis. Und trotzdem ist es der Sinn des Ausreiselagers in Bramsche-Hesepe, dass man sich dort unwohl fühlt und Deutschland deshalb freiwillig verlässt. „Förderung der Ausreisebereitschaft“, nennen das die Behörden.
Am Montag verhandelte das Amtsgericht Bersenbrück die Anklage gegen sechs Bewohner des Lagers. Im November 2006, am Ende einer Demonstration gegen die Lebensbedingungen in der umstrittenen Einrichtung, sollen sie mit anderen Flüchtlingen ein Stück des Drahtzauns, der den Komplex umgibt, umgeworfen haben. Für die Staatsanwältin war das ein Fall von „gemeinschaftlicher Gewalt gegen Sachen in einer die öffentliche Sicherheit beeinträchtigenden Weise“. Sie klagte die sechs Flüchtlinge wegen Landfriedensbruches an.
Nur vier der Angeklagten erschienen vor Gericht: Ein staatenloser Rom, ein Kosovare, ein Afghaner und ein Aserbaidschane. Bis auf einen kamen sie allein – einen Anwalt konnten sie sich als abgelehnte Asylbewerber nicht leisten. Der vierte Flüchtling brachte eine Rechtsanwältin mit. Doch das Gericht lehnte seinen Antrag auf Übernahme ihres Honorars zunächst ab – wegen „mangelnder Schwere der Tat und mangelnder Schwierigkeit der Sachlage.“
Zwei weitere Angeklagte erschienen nicht. „Eine Entschuldigung liegt nicht vor“, gab der Richter zu Protokoll. Die vermisste Entschuldigung hätte die Ausländerbehörde liefern können. Sie hatte, wie eine antirassistische Initiative berichtete, einen der fehlenden Angeklagten in der Zwischenzeit nach Aserbaidschan abgeschoben.
Die Polizeidirektion Osnabrück maß dem Prozess offenbar eine derartige Bedeutung zu, dass sie zwei ranghohe Polizisten dafür freistellte, die fast fünfstündige Verhandlung vor Ort persönlich zu verfolgen.
Im Vorfeld des 29. November 2006 gab es in dem Lager eine Art Hungerstreik, der über eine Woche dauerte. Die Flüchtlinge boykottierten die Kantine, um gegen die schlechte Gesundheitsversorgung, die soziale Isolierung der Kinder durch die Lagerschule und die Überbelegung der Zimmer zu protestieren. Doch es ging nicht recht voran: Die Lagerleitung weigerte sich, mit ihnen zu sprechen.
Am Abend des 29. November sammelte sich ein Teil der Bewohner im Innenhof des Lagers. In einem kleinen Demonstrationszug gingen sie zur nahe gelegenen Gemeinde Hesepe. „‘Das Lager muss weg‘ und so‘n Zeug“, sollen sie dabei gerufen haben, erinnert sich vor Gericht ein Wachmann. Als der Aufmarsch gegen 22.00 Uhr wieder im Lager eintraf, will der Wachmann sie „gerade noch“ dabei beobachtet haben, wie sie „mit rhythmischen Bewegungen so lange an dem Zaun rüttelten bis sie ihn auf einer Länge von 50 Metern platt gemacht haben.“
Daraufhin legten zwei Wachmänner eine Liste mit 16 Namen an, die sie später der Polizei übergaben. Einer der Wachmänner räumte freimütig ein, dass sie alle Bewohner auf diese Liste gesetzt hätten, die er nach der Demo „zurück ins Haus“ habe gehen sehen. Bei der Aktion selber habe er niemanden beobachtet. Der andere Wachmann beharrte darauf, drei der Angeklagten beim Zaunrütteln erkannt zu haben: „Mein sehr starker Handscheinwerfer leuchtet bis zu 200 Metern. Ich kann Ihnen das gerne mal vorführen, wenn es dunkel wird.“
Die vier Flüchtlinge wiesen den Vorwurf zurück. Den Zaun wollte an jenem Abend keiner von ihnen angefasst haben.
Die dürftige Beweislage kam ihnen zugute. Drei der Verfahren wurden eingestellt. Die Unkosten brauchen sie nach Intervention der Anwältin nicht selber zu tragen. Einem Flüchtling, an den sich der Wachmann erinnert haben wollte, war zusätzlich das Verbeulen einer Fahrzeugtür vorgeworfen worden. Er muss nun 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.