Immer weiter denken

Umherfliegendes Papier

Manchmal, wenn ich mit der U- oder S-Bahn fahre, überkommt mich so eine Art Weltverbesserertum: Dann lasse ich das, was ich gerade gelesen habe und für verbreitungswürdig halte, auf dem Sitz liegen – in der Hoffnung, die nach mir Fahrenden nehmen dies zur Kenntnis und ziehen ihre Schlüsse daraus. Früher waren es Flugblätter, die ich auf diese Weise im öffentlichen Raum des Berliner Nahverkehrs hinterließ, heute sind es Zeitungen – und neben die agitatorische Motivation gesellt sich mitunter die betriebswirtschaftliche, auf dass zufällige Leser der Zeitung, für die ich arbeite, künftig zahlende werden könnten. So auch an einem Morgen auf dem U-Bahnhof Friedrichstraße.

Auf die U-Bahn wartend, hatte ich gerade die taz ausgelesen und legte das Exemplar auf eine Bank ab. „Da hinten steht ein Mülleimer“, rief mir prompt eine uniformierte BVG-Frau zu, die gerade mit einer Kollegin den Bahnsteig entlangkam. „Da können Sie das reinschmeißen, Sie sind hier ja nicht zu Hause!“ „Ich dachte nur“, erwiderte ich, „dass noch jemand die Zeitung lesen kann. Die ist von heute, ganz frisch. Wäre ja schade drum, zum Beispiel um die Besprechung der neuen CD von …“ „Mag sein“, unterbrach sie mich, „aber das Zeug fliegt nur unnütz in der Gegend herum, wenn ein Zug kommt. Wer räumt dann den Müll weg?“

In diesem Moment fuhr eine U-Bahn ein, und der Windstoß des Zuges ließ die Zeitung tatsächlich ein wenig hochflattern, bevor sie sich, nun etwas zerpflückt, wieder auf die Bank senkte. Schnell nahm ich das Papier, sprang durch die nächstgelegene Zugtür und drehte mich zum Bahnsteig um. „Man muss immer einen Schritt weiter denken“, rief die BVG-Frau, sich mit dem Zeigefinger an die Stirn tippend. RICHARD ROTHER