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Archiv-Artikel

Das Schauspiel kommt in die Gänge

Reiche Ernte: Das neu zusammen gestellte Theater-Ensemble brilliert in Ferdinand Bruckners „Früchte des Nichts“

Nach dem bisherigen Potpourri entwickeln sich jetzt homogenere Leistungen

Während sich die bisherige Intendanz von Hans-Joachim Frey in Sachen Musiktheater auch inhaltlich durchaus sehen lassen kann – ausgenommen eine völlig belanglose, nichtsdestoweniger sehr gut besuchte „Csárdás-Fürstin“ – regiert im Spielplan der Sprechbühne das Potpourri-Prinzip: Bemerkenswerten Inszenierungen wie der von „Titus Andronicus“ stehen allerhand Ausfälle gegenüber, die Publikum und Kritik gleichermaßen ratlos zurück lassen.

Nun aber zeigt sich das Schauspielensemble, etwa zu gleichen Teilen aus Post-Pierwoß- beziehungsweise Prä-Frey-AkteurInnen zusammen gesetzt, in Ferdinand Bruckners „Früchte des Nichts“ mit einer ausgesprochen homogenen, geradezu hoffnungsträchtigen Leistung. Das Thema des Nachkriegs-Dramas: die Orientierungslosigkeit einer Horde jugendlicher Nachwuchsnihilisten, hier in Gestalt einer kleinstädtischen Abiturienten-Gang. Für den Direktor (Detlev Greisner) sind es „pubertierende, halbgeniale Arschlöcher“, die Mutter Sophie (Gabriele Möller-Lukasz) auf dem Pfad bürgerlicher Pflichten zu halten versucht.

Was nach bundesrepublikanischem Pädagogen-Pathos klingt, macht Sebastians Schugs Inszenierung zum veritablen Knaller: Ein Sofa reißt auseinander, hinter dem fest gefügten familiären Rahmen öffnet sich schlundgleich die Welt des Abenteuers. Genauer: ein Alpenpass, ausgestattet mit Braunbär und düsterem Gewölk, eine geniale Mischung aus Freiluftbühne, aktuellem Trash und 50er-Filmästhetik. Nur der Mercedes ist leider ein 70er-Modell. Mit ihm soll es nach Italien gehen.

In diesem Wilhelm Telligen Ambiente passiert ein Mord. Dessen Motivlosigkeit ist das eigentliche Thema: Er kommt aus dem „Nichts“. Sven Fricke alias Gert: „Essen wollt‘ ich schon lang. Aber noch viel länger ist es her, dass ich schießen wollte.“ Eigentlich traut man dem irren Foss die Tat viel eher zu: Christoph Rinke spielt ihn mit ebenso stierem wie leuchtendem Wahnsinn im Blick.

Obwohl sich das weibliche Rollenspektrum auf die tumbe Dualität Hure und Heilige beschränkt, gelingt es Franziska Schubert und Varia Linnéa Sjöström selbst in dieser Reduktion zu brillieren. Die Maskenhaftigkeit einer derart unermüdlich Tugendsamen wie Schubert, die den erlebnisgierigen Gert partout zu Gott führen will, muss man erstmal durchhalten. Wobei die Modellhaftigkeit dieser Gretchen/Faust-Konstellation noch durch Schuberts leicht laszive Twist-Einlagen bereichert wird.

Einzig das Ausweichen in die Musik überzeugt nicht: In den dichtesten Momenten lässt Schug seine AkteurInnen singen, was die Spannung ins Off der offensichtlichen Absurdität kippen lässt. Die nichtsdestotrotz mehr als reife Regie- und Ensembleleistung endet mit einem Satz, der gern als Kapitulation vor der Erwachsenenwelt missverstanden wird: „Wie könnt Ihr uns helfen, ohne uns zunächst zu langweilen?“ Das Bremer Theater zumindest entfernt sich von dieser Gefahr. Henning Bleyl