: Soul der schwarzen Karibik
Vom Schiffbruch verweht: Die Kultur des Garifuna-Volks in Mittelamerika erlebt derzeit ein Revival. Das Garifuna Women’s Project und sein Album „Umalali“ bilden die Speerspitze dieser Bewegung
VON KNUT HENKEL
Im Licht der aufgehenden Sonne steht Sofia Blanco auf einem schmalen Steg im Hafen von Dangriga: eine Szene, wie einer kitschigen Postkarte entsprungen. Die 54-jährige Sängerin hält Ausschau – sie erwartet eine kleine Flottille von Fischerbooten, die in den Hafen der Kleinstadt im Süden von Belize einlaufen sollen. Leise summt sie eine Melodie vor sich hin. „Es ist ein altes Fischerlied, das die Frauen früher sangen, wenn die Männer in die Kanus stiegen und zum Fischen hinausfuhren“, erklärt Sofia Blanco. Das schwermütig-swingende Stück stimmt Sofia Blanco heute noch an, wenn sie ihren Mann Gregorio morgens zum Boot begleitet.
„Fischfang und Ackerbau, davon leben wir Garifuna traditionell“, erklärt die Frau, die selbst aus Guatemala stammt. Die Garifuna sind eine kleine Minderheit in Mittelamerika. Woher die schwarzen Kariben, wie sie auch genannt werden, ursprünglich stammen, ist umstritten. Neben vielen Mythen und Legenden ist die St.-Vincent-These die glaubwürdigste Variante. Danach sollen 1635 vor der Küste der gleichnamigen Karibikinsel zwei Sklavenschiffe gesunken sein. Dort ansässige karibische Stämme nahmen die Überlebenden des Unglücks auf, vermischten sich mit ihnen und entwickelten eine eigene Kultur, bis sie von der britischen Kolonialmacht von der Insel vertrieben wurden.
„Damals begann unsere Odyssee, die uns über die Küsten Mittelamerikas verstreute“, glaubt auch Desere Diego, eine Freundin von Sofia Blanco. Vom Kleinstaat Belize, der im Süden der mexikanischen Halbinsel Yucatán liegt, die Karibikküste entlang bis nach Panama hat sich das kaum 300.000 Menschen zählende Volk auf fünf Staaten verteilt. Einige sind, wie Desere Diego, in Belize zu Hause. Sofia Blanco dagegen lebt mit ihrem Mann in Guatemala – in der Küstenstadt Livingstone, wo um 1802 die Garifuna in ihren Kanus gelandet sein sollen.
„Am 26. November haben die ersten Familien dort ihren Fuß auf den Strand gesetzt“, ist Sofia Blanco überzeugt. In Dangriga, wo sie am heutigen Tag zu Gast ist, wird dagegen der 19. November als „Garifuna Settlement Day“ gefeiert. Schon sind am Horizont die ersten mit Palmwedeln und den großblättrigen Cassavapflanzen geschmückten Boote am Horizont zu sehen, während am Ufer polyrhythmische Trommelschläge erklingen. Die ganze Stadt scheint am Ufer versammelt zu sein. Rumgläser und Bierflaschen machen die Runde, das Stimmengewirr übertönt die Rhythmen der Trommeln. Fotohandys werden gezückt, um den Regenbogen festzuhalten, der sich am Himmel abzeichnet.
Als die Boote den natürlichen Hafen von Dangriga, die Flussmündung, erreicht haben, hört man auch von dort die Trommelwirbel. Sofia Blanco und ihre Freundinnen Desere Diego und Chella Torres wiegen ihre Hüften im Takt. Nur Desere Diego stammt aus Dangriga, der heimlichen Hauptstadt der Garifuna. Chella Torres dagegen ist in Honduras geboren und später ausgewandert. Was sie verbindet, sind die gemeinsame Sprache, das Igñeri – ein Dialekt, der aus indigenen, europäischen und afrikanischen Sprachen geboren wurde –, und natürlich die Musik und die Rituale der Garifuna.
Die Kultur der Garifuna ist längst zum Weltkulturerbe erklärt und in die berühmte Unesco-Liste aufgenommen worden. Doch ihre Sprache, das Igñeri, droht zwischen Englisch und Spanisch, den dominanten Sprachen der Region, zerrieben zu werden. „Viele Kinder lernen ihre Muttersprache kaum noch“, beklagt Sofia Blanco. Dem Untergang ihrer Kultur will sie jedoch nicht tatenlos zu sehen. So bilden die Garifuna-Frauen die Speerspitze einer Bewegung, die ihr Erbe bewahren möchte.
Zum Garifuna Settlement Day schlängelt sich ein langer Prozessionszug im Rhythmus der Trommeln durch die Straßen von Dangriga zur Kirche. Im Zentrum der Zeremonie stehen die Insignien der Garifuna-Kultur: die schwarz-gelb-weiße Flagge, die Cassavapflanze und die beiden Trommeln, Primeiro und Segundo genannt.
Nicht nur in Belize, auch in Honduras und Guatemala feiert die Garifuna-Kultur ein Revival. Den ersten Schritt, um den Soul der schwarzen Kariben einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen, unternahm der Garifuna-Botschafter und Musiker Andy Palacio. Mit dem Garifuna Collective scharte er die besten Musiker dieser Minderheit um sich und nahm, unter der Ägide des Musikproduzenten Ivan Duran, das Album „Wátina“ auf. Der Titel bedeutet so viel wie „Wir sind hier“ und war der klingende Appell, diese Minderheit und ihre Kultur endlich wahrzunehmen: ein musikalischer Weckruf. Dafür gab es einen der wichtigsten Weltmusikpreise, den Womex Award, und viel internationale Aufmerksamkeit dazu.
Völlig überraschend erlag im Januar der Garifuna-Mentor Andy Palacio mit nur 47 Jahren einem Herzinfarkt. So kann er jetzt nicht mehr miterleben, wie sein Traum in die zweite Etappe geht. Denn mit den Frauen um Sofia Blanco nahm Ivan Duran im vergangenen Jahr „Umalali“ auf: ein Album, das beste Chancen hat, noch mehr Zuhörer für die Balladen der Garifuna zu begeistern.
Jahrelang hatte Ivan Duran, als Sohn spanischer Eltern in Mexiko geboren und in Belize aufgewachsen, die passenden Stimmen für sein Projekt gesucht und war mit seinem Rekorder durch ganz Mittelamerika gereist. „Als er die Frauen dann beisammenhatte, haben wir nur einige Kilometer weiter von hier in einer kleinen Hütte ihren Gesang aufgenommen“, erinnert sich der Musiker Rolando Sosa, der seit Jahren mit Duran im Studio arbeitet.
„Um unsere Stimmen haben die beiden ein Kleid geschneidert, das mir sehr gut gefällt“, fügt Desere Diego lachend hinzu. Für die 32-jährige Hausfrau, die sonst eher bei religiösen Feierlichkeiten die Stimme erhebt, wie auch für Sofia Blanco und Chella Torres war es die erste Studioerfahrung ihres Lebens. Bald folgten die ersten Auftritte in Belize, um nun „Umalali“ vorzustellen.
„Hier in Dangriga standen wir noch im November mit Andy Palacio erstmals auf der Bühne“, erinnert sich Desere Diego an die Begeisterung eines durchweg jungen Publikums, das viele ihrer Songs mitsingen konnte. Ein Zeichen dafür, dass sich der Wunsch des Garifuna-Propheten erfüllen könnte. Denn Andy Palacio warb für die Wiederentdeckung der Garifuna-Roots, kämpfte für einen bilingualen Unterricht und sah die Musik als wichtigstes Medium kultureller Bewusstwerdung. Auf seinen Spuren wandeln nun Sofia Blanco und das Umalali-„Garifuna Women’s Project“.
Umalali: The Garifuna Women’s Project (Cumbancha/Exil). Deutschlandtour: 1. 8. München, 2. 8. Karlsruhe, 3. 8. Nürnberg, 5. 8. Frankfurt