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Archiv-Artikel

Rechtsweg bewusst verweigert

Die Bürgerschaft debattiert heute nach der Wahl des schwarz-grünen Senats die Ereignisse vom 1. Mai. Das Oberverwaltungsgericht rügt, dass die Polizei gegen Verfassungsnormen verstieß

VON KAI VON APPEN

Mit der heutigen Vereidigung des neuen schwarz-grünen Senats tritt auch die Koalitionsvereinbarung zur Innenpolitik in Kraft. Diese ist vom CDU-Koalitionspartner, der weiterhin für die Leitung der Innenbehörde zuständig ist, im Umgang mit den Gegendemonstrationen zum NPD-Aufmarsch am 1. Mai in Frage gestellt worden. Zumindest wirft das Hamburgische Oberverwaltungsgericht (OVG) in seinem Beschluss zu den Auflagen, die für die Gegendemonstration galten, der Polizei vor, quasi Verfassungsbruch betrieben zu haben – entgegen den ausdrücklichen Koalitions-Absprachen. Heute debattiert die Bürgerschaft über die Ereignisse.

„Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist auch durch das Vorgehen der Polizei in der Praxis zu schützen“, heißt es auf Seite 55 des Koalitionsvertrages. Dazu gehöre, dass die „verfassungsgerichtliche Rechtssprechung“ beachtet und „die Auflagen der Versammlungsbehörde und das Sicherheitskonzept der Polizei auch das Recht, Kundgebungen oder dergleichen in Sicht- und Hörweite potentieller Adressaten durchzuführen, in besonderer Weise berücksichtigen“.

All das hat die Polizei nicht getan: So sollte die Demonstration des „Bündnis gegen Rechts“ aus Barmbek-Nord auf breite Autopisten in Steilshoop verbannt werden. Die Polizei untersagte sogar das Mitführen von Getränkeflaschen oder -dosen. Da sie diese Verfügung erst 48 Stunden vor Beginn den Veranstaltern zustellte, konnte all dies nicht mehr durch Gerichte im Vorfeld überprüft werden. Diese Strategie war aber schon in der Vorwoche festgelegt worden.

In seinem Beschluss verweist das OVG daher auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, nach der allein schon der Umstand, dass eine Behörde eine Entscheidung verzögert, „zum Erfolg des beantragten Eilrechtsschutzes führen kann“. Da die Folgen einer beschränkenden Anordnung in einem Hauptverfahren „regelmäßig nicht reversibel sind“, müsse ein Eilverfahren vor dem OVG „hier zum Teil Schutzfunktion übernehmen“.

In diesem Fall habe die Polizei „die Entscheidung, beschränkende Verfügungen zu erlassen, in einer Weise verzögert, die einer Verweigerung des gebotenen Rechtsschutzes gleichkommt“, tadelt das Gericht. Durch die Verzögerungstaktik der Polizei habe das OVG eine Entscheidung erst am Abend vor dem 30. April fällen können. Damit sei den Veranstaltern jedoch die Möglichkeit genommen worden, im Falle eines Misserfolges „einstweiligen Rechtsschutz beim Bundesverfassungsgericht zu beantragen“. Die Versammlung könne jedoch nur einen „Beachtungserfolg erreichen“, wenn sie „im Kernbereich Barmbeks“ stattfinde.

Laut GAL-Innenexpertin Antje Möller wird es auch im Innenausschuss eine „Auswertung des polizeilichen Verhaltens“ geben. „Die Ereignisse haben jedoch nichts mit Schwarz-Grün zu tun gehabt“, beteuert Möller. „Das war ein Abschiedsgeschenk von Innensenator Nagel.“

So sieht es auch die SPD-Opposition: „Innensenator Nagels Mannen haben die Schlappe vor Gericht offenbar selbst mit verursacht“, sagt der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Der Senator selbst betreibe danach einseitige Justizschelte, „statt dafür zu sorgen, dass dieses Demo-Debakel im eigenen Hause aufgearbeitet wird“.

Die Partei Die Linke fordert eine generelle Wende. „Seit Jahren verfolgt die Versammlungsbehörde die Strategie, Auflagenbescheide und Verbote erst kurz vor Beginn von Demonstrationen zu erlassen“, beklagt die Vize-Fraktionschefin Christiane Schneider. „Diese Praxis war und ist verfassungswidrig, weil sie die Rechtsweggarantie des Grundgesetzes aushebelt.“ Die Linke begrüße deshalb den Barmbek-Beschluss des OVG, der laut Schneider „für die Versammlungsfreiheit in Hamburg genauso wichtig ist wie der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts“.