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Archiv-Artikel

Schwarz-Grün gibt es wirklich

Die Hamburger Bürgerschaft wählt ein Bündnis aus Christdemokraten und Grünen auf die Senatsbank. Bürgermeister Ole von Beust bekommt eine Stimme zu viel, sein Senat eine zu wenig. Durch die Koalition kommen vier Frauen neu in die Bürgerschaft

EINE CHANCE FÜR SCHWARZ-GRÜN

Der schwarz-grünen Koalition stehen die HamburgerInnen insgesamt abwartend bis wohlwollend gegenüber. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungs- instituts Psephos im Auftrag von NDR und Hamburger Abendblatt, die am Mittwoch veröffentlicht wurde. Danach finden 47 Prozent der Befragten Schwarz-Grün gut oder sehr gut, 39 Prozent halten die Koalition für schlecht oder sehr schlecht. Ebenso viele hätten eine große Koalition aus CDU und SPD für die bessere Alternative gehalten. Der Koalitionsvertrag wurde mit 3,4 durchschnittlich benotet. Wenn am Sonntag gewählt würde, würde sich gegenüber der Wahl vom 24. Februar nichts ändern: Die CDU käme auf 43 Prozent (42,6 Prozent), die SPD auf 34 Prozent (34,1), die GAL auf zehn Prozent (9,6), Die Linke auf sieben Prozent (6,4) und die FDP auf 4,5 Prozent (4,8). Das Psephos-Institut hat vom 29. April bis zum 5. Mai 1.004 nach dem Zufallsverfahren ausgewählte Wahlberechtigte befragt. TAZ

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Um 16. 20 Uhr am Mittwoch Nachmittag wurde im Hamburger Rathaus mal wieder Geschichte geschrieben. Als erstes Parlament in Deutschland hat die Bürgerschaft eine schwarz-grüne Koalition auf die Regierungsbank gewählt. Bereits 1993, mit einem Senat aus SPD und den bürgerlichen Rebellen der Statt-Partei sowie 2001 mit der Partei des Rechtspopulisten Ronald Schill im Dreierbündnis mit CDU und FDP, hatte der Stadtstaat an der Elbe politische Premieren inszeniert. Beide endeten ohne Happy End. Und nun also kommt das Bündnis aus Christdemokratischer Union und Grün-Alternativer Liste (GAL).

Bei der geheimen Wahl erhielt der Erste Bürgermeister Ole von Beust (CDU) 69 Stimmen bei 52 Gegenstimmen. Das Wahlergebnis wurde mit minutenlangem stehenden Beifall der Fraktionen von CDU und GAL gefeiert. Denn ein Abgeordneter der rot-roten Opposition muss für den Christdemokraten votiert haben, da das schwarz-grüne Lager nur 68 Sitze hat. Die CDU verfügt über 56 Mandate und die GAL über 12; die erforderliche absolute Mehrheit liegt bei 61 der 121 Sitze. Die SPD mit 45 und die Linke mit acht Abgeordnete kommen auf 53 – wenn die Reihen geschlossen sind.

Anschließend berief der 53-jährige von Beust, der zum dritten Mal nach 2001 und 2004 zum Regierungschef gewählt wurde, neun weitere Mitglieder in sein Kabinett. Die fünf ChristdemokratInnen, drei GALierInnen und eine Parteilose auf CDU-Ticket wurden in ebenfalls geheimer Abstimmung mit 67 gegen 54 Stimmen von der Bürgerschaft bestätigt.

Damit fehlte der schwarz-grünen Koalition hier eine Stimme. Spekulationen und scheele Blicke gab es deswegen quer durch die Fraktionen reichlich, letztlich aber ist die Suche nach einem oder mehreren Abweichlern müßig.

Durch die Wahl des schwarz-grünen Senats kamen vier Frauen umgehend neu in die Bürgerschaft. Die ausgeschiedenen CDU-Senatorinnen Birgit Schnieber-Jastram und Alexandra Dinges-Dierig nahmen ihre ruhenden Mandate an. Für die grünen Senatsmitglieder Christa Goetsch und Till Steffen rückten die Studentinnen Linda Heitmann und Jenny Weggen nach.

Mit Schulsenatorin Christa Goetsch wird somit zum zweiten Mal nach Krista Sager in der rot-grünen Koalition von 1997 bis 2001 eine GALierin stellvertretende Regierungschefin. Und sie wird einen der härtesten Brocken zu stemmen haben, den CDU und GAL in ihrem 65 Seiten starken Koalitionsvertrag vereinbart haben.

Vordringlich für die 55-jährige Lehrerin und ihre Partei ist das Gelingen des Schulkompromisses. Die Primarschule noch in dieser Legislaturperiode einzuführen, ist unabdingbare Pflicht – gegen Widerstände vor allem von Gymnasialverbänden und Elternvertretungen, aber teilweise auch ihrer eigenen Basis in der Lehrergewerkschaft GEW sowie nicht zuletzt der CDU-Schulpolitiker.

Wegen des Konflikts um das Steinkohlekraftwerk Moorburg und der Elbvertiefung steht auch die grüne Parteichefin Anja Hajduk unter enormem Erfolgsdruck. Zum einen wird sie als Umweltsenatorin oberste Sachwalterin grüner Ur-Kompetenz sein, zusätzlich aber ist sie zuständig für die großen Infrastrukturfragen in Hamburg: Zu ihrem Mega-Ressort zählen auch Verkehr und Bau.

Mithin ist Hajduk verantwortlich für die Einführung von Stadtbahn, Umweltzonen, City-Maut und Shared-Space-Projekten sowie den Ausbau von Radwegen; die Wiederbelebung des sozialen Wohnungsbaus und die soziale Entwicklung armer Quartiere muss die 44-Jährige mit dem ausgeprägten Hang zu Zahlen, Daten und Fakten ebenfalls managen.

Die Erfolge von Christa Goetsch und Anja Hajduk, die für das Regierungsamt in Hamburg ihr Bundestagsmandat nach fünfeinhalb Jahren aufgibt, entscheiden nicht nur über den Bestand der Koalition, sondern auch über die nahe Zukunft der GAL. Von ihrer Stärke im Hamburger Senat wird es wesentlich abhängen, ob Schwarz-Grün ein Politikmodell mit Substanz sein kann.

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