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Archiv-Artikel

Ihr, Roboter

In Bremen steht eines von drei deutschen Zentren für „Künstliche Intelligenz“ mit Schwerpunkt Robotik. Den dortigen Wissenschaftlern geht es längst nicht mehr um schnelle Rechner, sondern um die Einbettung der Rechner in „Körper“. Sie sollen dem Menschen helfen. Formt der Roboter am Ende den Menschen nach seinem Bilde?

VON KLAUS WOLSCHNER

Der Stolz der Robotik-Forscher am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz in Bremen ist „Scorpion“. Das achtbeinige Stangen-Tierchen soll einmal zum Mond, eine spätere Generation dann auf den Mars fliegen und Steinchen sammeln. Im Labor des Zentrums ist eine Mondlandschaft aufgebaut, in der der intelligente Roboter übt. Per Knopfdruck kann „Mondlicht“ eingeschaltet werden. Eine Schnur auf dem Rücken des Roboters verhilft ihm zu der reduzierten „Mond-Schwerkraft“.

„Künstliche Intelligenz“, das ist inzwischen Konsens unter den Forschern, ist nicht mehr der Aufbau einer hohen Rechnerkapazität. Der Schachcomputer wäre so ein Rechner, aber die eigentliche Intelligenz beginnt da, wo um den Rechner herum ein Körper existiert, der Signale aufnimmt und verarbeiten kann und daraus selbst Handlungsoptionen entwickelt.

Der intelligente Roboter tut nicht stur das, was ihm einprogrammiert wurde, sondern hat diverse Optionen. Er soll einmal Landschaften erkennen, Hindernisse visuell analysieren und entscheiden können, ob er lieber darüber klettert oder ausweicht. Der Roboter soll steile Wände hinunter in Krater hineinklettern und mit seinem Greifarm Gesteinsbröckchen packen und zum Lande-Vehicle zurückbringen. Wenn die Marssonde mit den Proben zurückfliegt, muss Scorpion oben bleiben. Der Rückflug wäre zu teuer.

Im Herbst wird die Europäische Weltraumbehörde ESA auf einer ihrer Konferenzen Geld bewilligen müssen, damit dieses Projekt der Bremer Roboter-Entwicklung fortgeführt werden kann – wobei das Zentrum für Künstliche Intelligenz staatlich geförderte Grundlagen-Forschung und industriell angebundener Anwendung kombiniert. Die Technik des Erkennens und Greifens etwa will die Post einsetzen beim vollautomatischen Sortieren von Paketen. Auch für den Einsatz in der Tiefseeforschung arbeiten die Bremer an einem „Greif-Roboter“, der nicht per Videokamera von oben gesteuert werden muss wie konventionelle Roboter, sondern sich am Meeresgrund allein zurechtfindet. In der Offshore-Industrie hoffen die Bremer Forscher auf interessierte Abnehmer.

„Künstliche Intelligenz“ in diesem Sinne macht dem Menschen keine Konkurrenz. Sie ist eine Verfeinerung der Instrumente, die eingesetzt werden an Orten, die für den Menschen nicht erreichbar sind, weil sie nicht über alle menschlichen Sensibilitäten verfügen. Ein „Feuerwehr-Robotor“, der in ein brennendes Haus hineingehen kann oder ein Giftgas-unempfindlicher „Aufklärer“, der Bilder von der Unglücksstelle senden kann, wären solche perfekten Helfer. Den „mechanisch-künstlichen Humanoiden mit übermenschlicher Intelligenz und Stärke“ werde es in absehbarer Zeit nicht geben, entwarnt Frank Kirchner, der Direktor des Bremer Forschungszentrums.

Doch auch diese „künstliche Intelligenz“ wird ihre Rückwirkungen auf den Menschen haben. So haben die Bremer Roboter-Forscher auch Sicherheits-Tierchen im Angebot. Bei der abendlichen Vorführung ist der Technologiepark menschenleer und darum vielleicht ein guter Ort, um den Nutzen zu erläutern – manch teurer Computer ist zu dieser Zeit allein im Haus. „SentryBod“ ist die Antwort, die viele Security-Leute arbeitslos machen könnte. Alle Türen bleiben nachts auf, ein kleines intelligentes Vehikel fährt durch die Büros. Es „kennt“ die Ecken, erkennt aber auch eine Aktentasche oder eine Kiste, die gestern noch nicht hier stand, und erkennt vor allem Menschen, die da nicht hingehören. Und schlägt Alarm.

Was der „SentryBot“ noch nicht kann: einen unerwünschten Eindringling vom Direktor des Forschungszentrums zu unterscheiden, wenn der einmal Nachschicht gemacht hat. So unterwirft sich der Mensch dem Sicherheitsmechanismus, auch wenn er ihn „intelligent“ gemacht hat: Einmal in Gang gesetzt, sind die Roboter gnadenlos, nur menschliches Kommando kann sie stoppen und zumindest zeitweise lahm legen.

Noch deutlicher zeigt sich das Problem bei einem anderen Bereich der künstlichen Intelligenz, die in Bremen für Logistik-Ketten entwickelt wird. Das komplizierte Erkennen und Klassifizieren von Objekten spart man sich, wenn die Objekte selbst mit RFID-Codes ausgestattet sind. Die Abkürzung steht für „Radio Frequency Identification“ und spielt im Alltag bereits eine große Rolle – Kaufhäuser sichern mit RFID-Verfahren ihre Waren. Auch die elektronische Wegfahrsperre bei Autos nutzt diese Technik. Das „Kaufhaus der Zukunft“ soll damit ausgestattet werden, theoretisch könnte am Ausgang ein Lesegerät die eingepackte Ware mit Hilfe der RFID-Codes kontrollieren und den Betrag gleich vom Konto abbuchen.

In Bremen gibt es mit „Joke“ einen Betrieb, der seine gesamte Logistik auf RFID umgestellt hat. Joke ist eine Event-Agentur, die 1992 von Christian Seidenstücker aus den Einnahmen eines Balls gegründet wurde, den er organisiert hatte. Mit ihren inzwischen 60 Mitarbeitern versorgt die Agentur bundesweit Firmen, die für den reibungslosen Ablauf ihres Events einen Beamer, 100 Stühle, Stellwände oder sonstiges „just in time“ brauchen. Messeauftritte, Kongresse, Unternehmenspräsentationen – Joke sorgt für alles. Da darf nichts eine Stunde zu spät kommen, es darf auch nichts fehlen, wenn der Joke-LKW ausgeladen wird – und es soll nichts fehlen, wenn die Ladung in das Bremer Firmenlager zurückkommt. Die Lösung des Problems ist seit einigen Wochen RFID: Jedes Stück aus dem großen Equipment ist mit einem RFID-Chip ausgestattet, fast alle LKWs haben Lesegeräte, die Mitarbeiter haben mobile Lesegeräte. Für jeden Stuhl kann der Chef Seidenstücker in seinem Computer nachsehen, wo er sich gerade befindet: In der Reparatur, auf der Fahrt nach Berlin, im Lager. Und die Fahrer müssen nicht die Vollständigkeit der geladenen Ware überprüfen, sondern nur auf das „go“ des RFID-Programms warten.

Die Investition, gefördert durch das Bundesland Bremen, soll sich in wenigen Monaten amortisieren. Joke gilt gleichzeitig als Pilot-Projekt, bei dem man sich von der Funktionsfähigkeit des Systems überzeugen kann. Die Beschäftigten, die anfangs skeptisch waren, haben sich an die neue Technik gewöhnt. Viele sind Aushilfskräfte in dem Stoßgeschäft. Den Überblick über den Ablauf ihrer Arbeit nimmt ihnen der Computer ab. Es ist ein strenger Chef. Bevor ein Mitarbeiter ein Stück anfasst, muss er sich selbst anmelden. Natürlich speichert das System nicht nur, welches Gerät an welchem Ort in welchem Zustand ist. Ganz nebenbei erspart sich das Unternehmen so eine gesonderte Zeiterfassung.

Intelligent ist dieses System dennoch nicht. Wenn die Bremer Intelligenz-Forscher sich mit Logistik-Ketten befassen, dann wollen sie mehr: Visuell sollen Maschinen erkennen, um welche Produkte es geht. Auch Produktfehler sollen automatisch identifiziert werden. Künstliche Intelligenz befasst sich mit den RFID-Chips, aber wirklich intelligent sind Systeme erst, wenn sie auch Objekte, die keine Chips tragen, in ihr System einbinden.

Elsa Kirchner ist von Beruf Biologin. Sie arbeitet am Bremer Forschungszentrum im Bereich „Brain Reading“: Was passiert im Gehirn des Menschen, wenn er intelligente Operationen ausführen muss? An der Universitätsklinik Bonn „spielt“ sie mit Patienten, die aus medizinischen Gründen Elektroden im Gehirn haben und den ganzen Tag still liegen müssen. Dann tauchen am Bildschirm „Bereitschaftspotenziale“ auf – 150 Millisekunden bevor die Testperson sich entscheidet, etwas zu tun. Die Zeit ist natürlich zu kurz, um freien Willen zu demonstrieren und eventuell die Handlung zu unterlassen. Aber es könnte irgendwann ein Signal sein, mit dem man Prothesen steuern kann.

Die Biologen erforschen die natürliche Intelligenz, um zu lernen, worauf sich ihre Roboter einstellen müssen.