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Archiv-Artikel

Poesie des Alltags

Die Galerie Anselm Dreher zeigt eine Fotoausstellung des Autors Michael Rutschky: Anekdotisch minimalistische Arbeiten, die wirklich vergnüglich sind

Zum Empfang singt Brian Ferry „For Your Pleasure“. Das ist reiner Zufall. „Meine Schallplatten“, das NDR-Feature von 1982, ist eben just an der Stelle angelangt, an der Michael Rutschky Roxy Music auflegt. Trotzdem ist man sich sofort sicher, er habe „Der Roman; Fortsetzung“ wirklich zum Vergnügen der Besucher inszeniert. Wobei der Verdacht, es sei ihm bei seiner Ausstellung bei Anselm Dreher zunächst einmal vor allem um das eigene Vergnügen gegangen, der Sache keinen Abbruch tut, im Gegenteil.

Beim Eintreten in die Galerie steuert man gleich frontal auf den leidenschaftlichen Fotografen und unseren Lesern bestens bekannten Autor und Essayisten zu. Denn an der Stirnwand prangt ein Selbstporträt aufgenommen vor einem Bild, das Paul Klee zeigt. Den Galerieinformationen zufolge handelt es sich bei den 33 Schwarzweißfotografien um „Zeichnungen. Der Paul-Klee-Roman“. Aber ich habe mir „Zeichnungen. Der Paul-Klee-Mann“ notiert. Wie auch immer, zwischen 1985 und 1990 hielt Michael Rutschky in diesem Zyklus eine kleine visuelle Poesie des Alltags fest, Zeichnungen, die sich mal der Linie eines im Holz festgenagelten Drahts verdanken oder einer fast schon verdunsteten Wasserlache auf trockenem Asphalt oder den Reparaturarbeiten an einer Tür, von der rechteckige Farbfelder auf ihr zurückblieben.

Der Paul-Klee-Mann heißt bei mir sowieso „der Blitze schleudernde Dilettant“. Dieses geniale Aperçu habe ich mir, anders als den Namen des Kollegen, von dem es stammt, unauslöschlich gemerkt. 2007 also, wahrscheinlich war es während der Berlinale, schleuderte Michael Rutschky seine Blitze auf Robert de Niro. Man wünscht es sich für den Schauspieler, dass er diese Fotos kennen möge. Denn tatsächlich gelingt es Michael Rutschy, den Star in einem ganz anderen als bei diesen Anlässen üblichen Licht zu zeigen. Er dimmt dessen öffentlichen Auftritt gewissermaßen privater, weit weg vom Blitz des Reporters oder des People-Fotografen. Daraus resultiert dann das schöne Paradox, einem so fremden und unvertrauten Robert de Niro zu begegnen, dass man ihn noch einmal ganz neu entdecken muss und darf.

Um die kleine Serie von sechs Fotografien zu studieren, drückt man sich an einem Podest vorbei, das Folke Köbberling und Martin Kaltwasser hinterlassen haben und auf dem jetzt ein Ghettoblaster thront, aus dem das NDR-Feature zu hören ist. Auch die Serie „Dem Tod bei der Arbeit zuschauen“ braucht nur neun Michael-Rutschky-Porträt-Aufnahmen, angefangen im Jahr 1979 bis ins Jahr 2008, um dem Pathos von Jean Cocteau fotografisch Paroli zu bieten – dem immer bulliger erscheinenden Gesicht des Max-Beckmann-Mannes. Und gleich daneben hängt das Juwel der Ausstellung, das „Tagebuch 2007“. 30 Farbfotografien, 30 Porträts von kleinen Dingen, die „Die Narbe“ heißen oder „Die Seife“ oder „Der Waschlappen“ oder „Der Kaffee“. Der Kaffee ist ein schwarzes kreisrundes Loch, die Seife ein durch den Trocknungsprozess längs aufgerissener Felsbrocken und die Narbe kaum zu sehen. Anekdotischer Minimalismus von so hinreißender Art, dass man blöd wäre, nähme man die Einladung „For Your Pleasure“ nicht an.

BRIGITTE WERNEBURG

Galerie Anselm Dreher, Pfalzburger Str. 80, Di.–Fr. 14–18, Sa. 11–14 Uhr, bis 31. 5.