: Vom Wollen, Können, MüssenBloß nichts ausschließen
AUS DÜSSELDORF ANDREAS WYPUTTA
Im Tagesgeschäft sind die Fronten klar. Ob in der Umwelt-, Verkehrs- oder Bildungspolitik oder selbstverständlich in Sachen Atomenergie: Die nordrhein-westfälischen Grünen versuchen, ihr Profil als scharfe Kritiker der schwarz-gelben Landesregierung von CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers zu schärfen.
„Fassungslos“ schaut dann der Geschäftsführer der grünen Landtagsfraktion, Johannes Remmel, auf den CDU-Umweltminister Eckhard Uhlenberg, der die Belastung der Ruhr mit der Chemikalie PFT kleinredet. Der stellvertretende Fraktionschef Reiner Priggen sieht die Wirtschaftsministerin Christa Thoben auf einer „energiepolitischen Geisterfahrt“, weil diese von der Wiederauferstehung der Atomenergie träumt. Und die grüne Bildungspolitikerin und Fraktionschefin Sylvia Löhrmann glaubt Schwarz-Gelb „von einer zukunftsfähigen Gestaltung des Schulwesens weit entfernt“, weil Rüttgers keinen gemeinsamen Unterricht aller Schüler will und dies als „Einheitsschule“ abwertet.
Im Hintergrund aber denken die Grünen sehr wohl über eine Zusammenarbeit nach. Von der „Vorzeit des Vier-Parteien-Systems“ spricht nach dem Schock der Hessen-Wahl etwa der ehemalige Landesparteivorsitzende und jetzige Europaabgeordnete Frithjof Schmidt. „Wenn die Linkspartei reinkommt, kann man gar nichts mehr ausschließen“, sagt auch ein führender Mitarbeiter der Landtagsfraktion.
Dabei blicken viele grüne Landespolitiker schon seit Jahren immer mal wieder in Richtung CDU. Schließlich mussten die Grünen auch in den Koalitionen mit den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Wolfgang Clement und Peer Steinbrück – beide vom rechten Flügel der SPD – viele Zugeständnisse machen, etwa beim Autobahn- oder Flughafenausbau. Arrogant seien die Sozialdemokraten gewesen, klagen viele noch heute, die SPD habe es immer nur als Betriebsunfall betrachtet, dass sie im Jahr die absolute Mehrheit in ihrem einstigen Stammland verlor.
Auf hessische Verhältnisse wollen auch die Grünen wie die CDU vorbereitet sein. „Nichts ausschließen“ lautete daher die Sprachregelung bei den Grünen: „Keine Bündnisse vorschnell ausschließen“ konnte nicht nur die Fraktionschefin Löhrmann. „Keine Koalition grundsätzlich ausschließen“, betonte deshalb auch die linke Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Grünen, Daniela Schneckenburger.
Schon im Februar hatte auch der Landesgeneralsekretär der Christdemokraten, Hendrik Wüst, die Grünen aufgefordert, sich aus der „babylonischen Gefangenschaft“ der SPD zu befreien. Drei Monate nach der Wahl in Hessen aber scheint in beiden Parteien die erste Aufregung verebbt: Zum Thema Schwarz-Grün will sich Wüst offiziell nicht mehr äußern. Der Generalsekretär habe „einen Stein ins Wasser werfen“, seine Partei erstmalig auf eine Zusammenarbeit mit den Grünen vorbereiten wollen, heißt es aus der Düsseldorfer Parteizentrale. Wie viele Grüne hofft auch das CDU-Establishment, dass die Linke bei der Landtagswahl 2010 den Einzug in den Landtag eben doch nicht schafft. „Zurzeit würden wir zusammen mit der FDP eine Mehrheit hinbekommen“, machen sich die Christdemokraten Mut.
Auch die Grünen wollen die Koalitionsfrage nun kleinhalten. Selbst Vertreter des linken Parteiflügels wie die Kölner Landtagsabgeordnete Andrea Asch, die sich auf dem Landesparteitag vor zwei Wochen noch um grüne Stammwähler gesorgt und vor deutlichen Stimmverlusten gewarnt hatte, betont jetzt die Distanz ihrer Fraktionschefin Löhrmann zur CDU. Nichts sei klar im größten Bundesland, sagt Asch, die angesichts von Schwarz-Grün in Hamburg aber weiter vor „Jubelarien“ warnt. In Nordrhein-Westfalen stünden 2009 doch zunächst Kommunalwahlen an, sagte Asch der taz. Ihre Zusammenarbeit vertiefen können CDU und Grüne also: In den ehemals SPD-geführten Ruhrgebietsstädten Essen und Duisburg regiert Schwarz-Grün seit mehr als drei Jahren.
Fast schon harmonisch
AUS BERLIN MATTHIAS LOHRE
Es könnte so schön laufen zwischen CDU und Grünen in der Hauptstadt. Denn vieles spricht für ein Bündnis der einst verfeindeten Parteien. Die Berliner verstehen sich ohnehin gern als politische Avantgarde, zuletzt bewiesen durch das derzeit einzige rot-rote Bündnis auf Landesebene. Auch wissen beide, Christdemokraten wie ehemalige Alternative, um die Notwendigkeit neuer Koalitionen, wenn sie nicht ewig in der Opposition verharren wollen. Wäre da nur nicht diese Volksabstimmung zum Flughafen Tempelhof gewesen, die in den vergangenen Monaten für arge Verstimmung gesorgt hat.
Mit einem enormen Aufwand versuchte die CDU, unterstützt von der FDP, der Springer-Presse und einigen Wirtschaftsverbänden, die Entscheidung des Senats, den innerstädtischen Flughafen Tempelhof zu schließen, per Volksentscheid zu kippen. Das Ansinnen scheiterte Ende April. Aber seither ist die emotionale Distanz wieder da.
Dabei hatten sich die drei Oppositionsparteien deutlich aneinander genähert. Seit der Abgeordnetenhauswahl im September 2006 demonstrierten sie immer wieder ihre Gemeinsamkeiten. Mal veranstalten sie gemeinsame „Berlin-Konferenzen“, ein andermal versuchten CDU und Grüne, den Neubau eines Kohlekraftwerks zu verhindern.
Nur schwer vereinbar bleiben die Vorstellungen zur inneren Sicherheit. Während die Grünen auf eine Mischung vor allem auf zügige Strafverfahren sowie Gewaltprävention in Elternhaus, Schule und Vereinen vertrauen, schloss sich die CDU zu Jahresbeginn der Kampagne von Roland Koch an.
Die Suche nach Gemeinsamkeiten geht dennoch weiter. Immer wieder betonen die Jamaika-Koalitionäre in spe, wie gut sie sich doch verstehen. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Friedbert Pflüger erklärte noch am Abend des gescheiterten Volksentscheids, dass die drei Oppositionsfraktionen, ungeachtet des Konflikts um Tempelhof, einen Untersuchungsausschuss wegen eines Bauskandals einsetzen wollten.
Der Grünen-Fraktionsvorsitzende Volker Ratzmann streitet besonders eifrig dafür, seine Partei gegenüber neuen Bündnissen nach der nächsten Wahl 2011 zu öffnen. „Wir fragen uns schon, ob die Union nach der Tempelhof-Kampagne die Kurve kriegt“, sagt er. „Insbesondere in der Bildungspolitik können wir Gemeinsamkeiten ausloten.“ Das Hamburger Modell, Stadtteilschulen zu fördern, sei auch für Berlin interessant.
Mit seiner Offenheit gerät der Jurist mitunter in die Kritik, denn ähnlich wie im Bund ist auch in Berlin die Parteibasis in der Frage von Schwarz-Grün gespalten. Ratzmanns Ansichten könnten bald auch auf Bundesebene wichtig werden. Der gelernte Jurist gilt als möglicher Nachfolger des scheidenden Bundesvorsitzenden Reinhard Bütikofer, der sein Amt im November abgibt.
Selbst bei der marktliberalen FDP schwinden die Vorbehalte gegen ein Bündnis mit den Grünen. „Die meisten Gemeinsamkeiten haben wir in den Bereichen Inneres und Recht“, urteilt der Landesvorsitzende Markus Löning. „Und selbst beim Thema Stadtentwicklung, wo uns einiges trennt, sehe ich Fortschritte.“ Berührungsängste kennt Löning nicht. Bis 1985 war der heutige FDP-Vorsitzende Mitglied der Grün-Alternativen Liste.
Nur ein Huber, kein von Beust
AUS MÜNCHEN MAX HÄGLER
Ein schwarz-grüner Anfang ist in Bayern längst gemacht. 1992 war es, als sich der CSU-Politiker Klaus Bäumler mit den Stimmen der Grünen und gegen die der SPD zum Stadtteilbürgermeister der Maxvorstadt wählen ließ; dem alten Münchner Künstlerviertel und Heimat von Wassily Kandinsky, Thomas Mann oder Gerhard Polt. Selbst wenn Bäumler gerade aus Altersgründen abgetreten ist, sind seinem Beispiel weitere auf kommunaler Ebene gefolgt. Erst jüngst wurde in Landshut, der klerikal-katholischen Trutzburg von CSU-Chef Erwin Huber, mit den Stimmen einiger CSU-Räte ein Grüner zum zweiten Bürgermeister gewählt.
Im September stehen Landtagswahlen bevor, und die absolute Mehrheit der CSU ist nicht sicher. Eine Option heißt daher Schwarz-Grün. Erst vor einigen Wochen ließ sich Sepp Dürr, der Fraktionsvorsitzende der Grünen, mit den Worten zitieren: „Nur mit uns wird die CSU modern.“ Alles sei besser eine Linksregierung, sagte wiederum Edmund Stoiber Anfang Mai und fügte hinzu: „Die Grünen sind keine politischen Schmuddelkinder mehr.“
Für den Kommunalpolitiker Bäumler ist Schwarz-Grün nicht abwegig, auch wenn er weiterhin auf die absolute Mehrheit hofft. „Die Zusammenarbeit mit den Grünen war immer ganz hervorragend“, erinnert er sich. Wenn es um den Radverkehr oder Naturbelange ging, habe man stets übereingestimmt.
Viel geringere Überschneidungen findet der CSU-Fraktionschef Georg Schmid. „Der Sepp Dürr ist ein guter Fußballspieler, aber das war’s dann auch“, sagt er über seinen grünen Konterpart im Landtag. Für Schmid sind Koalitionen prinzipiell ein Übel, und einer Koalition mit den Grünen stünden die völlig unterschiedlichen Überzeugungen entgegen. „Die wollen doch sogar die Nationalhymne auf Türkisch singen lassen“, schimpft Schmid im taz-Gespräch. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass sich solche Leute mit uns an einem Tisch setzen.“
Ein wenig verhaltener, aber doch ähnlich argumentiert der weithin respektierte Umweltstaatssekretär Marcel Huber. Es gebe zwar Berührungspunkte, bei denen man „durchaus miteinander“ könne. Zugleich gebe es aber auch „ein paar ideologische No-go-Areas“. Beim Thema Integration etwa seien die Ansichten der Grünen nicht mit den wertkonservativen Auffassungen der CSU vereinbar.
Von einem „No Go“ spricht auch der grüne Landeschef Sepp Daxenberger. Zwar hatte er in Abstimmung mit der Landtagsfraktion vor zwei Jahren ein Strategiepapier formuliert, in dem der Satz stand: „Wir Grüne haben keine Berührungsängste.“ Aber inzwischen sagt er, dass sich diese Aussage auf die konservativen Wähler und nicht auf die konservative CSU bezogen habe. „Wir wollen den Schwarzen die Wähler abjagen.“ Eine Zusammenarbeit mit deren jetzigem Personal und deren jetzigen Standpunkten, etwa bei der Atomkraft oder der Bildungspolitik, sei schlicht unvorstellbar. „Wir wären damit die Filzverlängerer!“
Sollte die CSU nach der Landtagswahl tatsächlich auf einen Partner angewiesen seien, stünden zudem Parteien bereiten, „die wesentlich billiger zu haben sind“. Im Übrigen sei die Hamburger Situation nicht mit der bayerischen zu vergleichen: „Ein Ole von Beust hat eine ganz andere Sozialisation als ein Erwin Huber.“ Kurz: Schwarz-Grün ist möglich, aber nicht einfach.