Showdown beim Polizeidirektor
Heute steht ein Hamburger Polizist wegen sexueller Nötigung vor Gericht. Steht er bei einem hohen Vorgesetzten auf der Abschussliste, weil er sich über diesen beim Innensenator beschwerte?
VON KAI VON APPEN
Vor dem Amtsgericht in Hamburg-Blankenese muss sich ab dem heutigen Donnerstag der Polizeibeamte Kamiar M. wegen sexueller Nötigung verantworten. Laut Anklage soll der Deutsche persischer Herkunft eine Freundin unter Gewaltanwendung sexuell bedrängt haben. Was sich zunächst als Routinefall präsentiert, hat noch einen Krimi im Hintergrund: Im Raum steht der Vorwurf des Mobbings bei der Polizei – und des Versuchs des Apparats, einen Beamten loszuwerden.
Kamiar M. steht nicht das erste Mal wegen einer Sexualstraftat vor Gericht: 2005 musste er sich elf Tage vor dem Landgericht verantworten – wegen Vergewaltigung. Vom Gericht – drei Berufsrichterinnen, zwei Schöffinnen – wurde M. damals freigesprochen. Nicht zuletzt, weil heraus kam, dass der Sachgebietsleiter des polizeilichen Dezernats Interne Ermittlungen (DIE), Ronald B., die Ermittlungsakten manipuliert hatte, um den Angaben des vermeintlichen Opfers überhaupt Plausibilität zu verschaffen. Dem Gericht zufolge hatte die Frau einen One-Night-Stand nachträglich zur Vergewaltigung ummünzen wollen.
Bleibende Suspendierung
Obwohl sich die Polizeiführung um den obersten Einsatzleiter Kuno Lehmann erklärtermaßen um die Wiedereingliederung von Kamiar M. in den Polizeidienst bemühte, wurde dessen disziplinarische Suspendierung trotz Freispruch über Wochen aufrecht erhalten. Als sich Lehmann nach taz-Information mehreren Gesprächsersuchen M.s verweigerte, rief dieser beim damaligen Innensenator Udo Nagel an und bekam doch prompt eine Audienz. Lehmann soll stocksauer gewesen sein, weil M. nicht den „Dienstweg“ eingehalten habe. Schließlich willigte er aber ein, dass M. den Dienst wieder aufnehmen konnte.
Nach anfänglichen Schwierigkeiten entwickelte sich M.s Verhältnis zu den Kollegen nach eigener Aussage „normal“. Verblüfft sei er gewesen, als Dienstgruppenleiter Axel S. ihm nach der Fußball-WM und einer Belobigung für seine dortigen Einsätze mitteilte, dass die „Anordnung vom Chef aufgehoben“ worden sei, M. mit keiner Kollegin im Streifenwagen einzusetzen – von dieser Anordnung indes will M. bis dahin nichts gewusst haben.
Probleme gab es wieder, als Kamiar M. im Jahr 2006 privat in eine Schlägerei geriet, an der er aber nach eigenen Angaben nicht direkt beteiligt war. Gleichwohl wurde gegen ihn wegen gefährlicher Körperverletzung ermittelt. Obwohl dieser Vorwurf schnell entkräftet werden konnte, stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren erst nach Monaten ein. Das kostete M. die Möglichkeit, Beamter zu werden.
Im September vorigen Jahres gab es dann weiteren Ärger: Susanne W. aus seiner Nachbarschaft, wo Kamiar M. unter dem Spitznamen „Momo“ bekannt ist, bezichtigte ihn per Anzeige der sexuellen Nötigung. An der Kasse eines Supermarktes soll M. sie bedrängt haben. Während M. sagte, er kenne die Frau nicht einmal, gab W. vor der Dienststelle für Sexualdelikte beim Landeskriminalamt (LKA 42) an, zwei Jahre eine Liebesbeziehung mit ihm gehabt zu haben. Susanne W., die sich zum Zeitpunkt dieser Aussage in psychologischer Behandlung befand, kannte jedoch nur den Spitznamen „Momo“ und gab bei der Polizei an, Angst vor M. zu haben. Das reichte dem LKA 42 aus, sie ins Zeugenschutzprogramm aufzunehmen.
Kamiar M. will dann nur durch Zufall auf seiner Dienststelle davon erfahren haben, dass gegen ihn ermittelt wird. Alle Versuche, nähere Hintergründe zu erfahren, scheiterten. Auch sein Anwalt, Uwe Maeffert, bekam zunächst keine Akteneinsicht – der Fall landete schließlich gänzlich bei den Akten.
Noch ein Vorwurf
Offenbar war für das LKA 42 und das DIE ein weiterer Vorfall von größerem Interesse: Nach einem Streit zeigte seine langjährige Schulfreundin Meike W., zu der M. auch später dann und wann sexuellen Kontakt gehabt haben will, ihn am 11. September 2007 wegen sexueller Nötigung an. Am Vortag habe er habe sie gewürgt, am Busen gegrabscht und sexuell zu attackieren versucht. Aufgesucht habe sie M. an jenem Tag, nachdem er unter Berufung auf die Ermittlungen gegen ihn Suizid-Gedanken geäußert habe.
Am 12. September rief Dienstgruppenleiter Axel S. den krank geschriebenen M. an: Dieser solle mit ihm zu Polizeidirektor Lehmann ins Polizeipräsidium kommen. Wegen der neuerlichen Anschuldigen solle M. sich einer „Gefährderansprache“ stellen. Schon draußen vor dem Präsidium will M. bemerkt haben, dass er von Beamten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) in Zivil observiert wurde. In Lehmanns Büro kam es nur zu einem kurzen Gespräch: „Ich bin ein fairer Mensch“, soll Lehmann gesagt haben, „kündigen Sie selbst.“ Als M. ablehnte, habe Lehmann ihn vom Dienst suspendiert.
In dem Moment, als M. seinen Dienstausweis auf den Tisch legte stürmte nach taz-Informationen ein halbes Dutzend MEK-Beamte das Büro. Wenigstens eine Waffe soll direkt auf M.s Brust gerichtet worden sein, er wurde zu Boden geworfen und in Handschellen festgenommen. Zu diesem Zeitpunkt war das mutmaßliche Opfer, Meike W., noch nicht einmal vernommen worden. Gegen M. wurde Haftbefehl wegen Wiederholungsgefahr erlassen. Das ist nur möglich, wenn ein Verdächtiger schon einmal wegen des gleichen Delikts rechtskräftig verurteilt wurde.
Hatte M.s Beschwerde bei Innensenator Nagel den Polizeidirektor derart gegen ihn aufgebracht, dass er nun den eigenen Apparat in Gang setzte, um M. loszuwerden? Das wird nun im Prozess allenfalls am Rande eine Rolle spielen. Erstmal wird es dort darum gehen, was sich in der Nacht des 10. September 2007 zwischen Meike W. und Kamiar M. zugetragen hat.