Überall Soundtracks

Stille schockt: Die Komponistin Hildegard Westerkamp trat in Wien beim Kongress zur „Utopie des Sounds“ auf

Seit seinem Film „Gerry“, der eine neue, wagemutige Phase seines Schaffens einleitete, haben Soundscapes in der Arbeit von Gus Van Sant an Bedeutung gewonnen. Musik- oder genauer: Klanglandschaften durchziehen die Filme dieses Regisseurs. Sound, Kamerabewegung und Körper gehen Einheiten ein, die Raum für Assoziationen lassen. Die Figuren erscheinen wie versunken, von ihrer Lebenswelt entrückt. Man weiß nie genau, ob es sich noch um Außen- oder schon um Innenwelten handelt.

Van Sant wählt seine Soundtracks in enger Kooperation mit dem Sounddesigner Leslie Schatz aus und greift dabei stets auf bestehende Tonquellen zurück. Es können Teile aus Werken klassischer Komponisten wie Ludwig van Beethoven oder Arvo Pärt sein, Teile aus anderen Filmmusiken – etwa von Nino Rota wie zuletzt in „Paranoid Park“ – oder aus Klanglandschaften zeitgenössischer Künstler wie Hildegard Westerkamp, Frances White, Robert Normandeau.

Westerkamp war vergangenes Wochenende eine der Vortragenden des Symposiums „Unmittelbarkeit und Ungleichzeitigkeit – eine Utopie des Sounds“, das Diedrich Diederichsen und Constanze Ruhm an der Akademie der Bildenden Künste in Wien organisierten. Die deutsche Komponistin, die seit den 60er-Jahren in Kanada lebt, sprach über ihre Konzeption und Auffassung von Soundtracks. Wer von ihr einen rein filmischen Zugang erwartet hatte, der lag auf der falschen Fährte: „Soundtracks everywhere“, so der Titel ihrer Lecture, war ganz unironisch gemeint. Westerkamp vertritt die Idee einer akustischen Ökologie im Anschluss an den Komponisten R. Murray Schafer, dementsprechend bezieht sie die Bestandteile ihrer Stücke aus natürlichen Umgebungen. Eine der beständigen Fragen ihrer Arbeit lautet, in welcher Weise wir an unserem klanglichen Umfeld teilhaben. Der Kontext der Wahrnehmung erhält insofern besonderes Gewicht.

Westerkamp wies in ihrem Vortrag vor allem auf jene akustische Dauerberieselung hin, die einem durch den Alltag des Konsumentendaseins begleitet und meist schon gar nicht mehr auffällt. Die Anfänge der Beschallung von öffentlichen Orten gehe bis in die 40er-Jahre zurück, als man in den USA Munitionsfabriksarbeiter mit Musik zu höherer Effizienz motivierte. Seitdem sei der Soundtrack unseres Lebens zu einer Kakophonie angewachsen; parallel dazu hätte man auch begonnen, „Lärm“ per Walkman und iPod aus dem individuellen Leben zu verbannen. „Man schließt sich damit aus einem sozialen Miteinander aus und kann selbst seine eigene Stimme nicht mehr hören.“ Westerkamp möchte solchen Entwicklung mit ihrer Arbeit entgegensteuern, indem sie das Bewusstsein für klangliche Umwelten wieder schärft.

Auf den Film übertragen bedeutet dieser zivilisationskritische Ansatz vor allem einen alternativen Einsatz des Sounddesigns. Im Mainstreamkino tendiert man zum engulfment, zur Einhüllung des Zuschauers in einen hyperrealistischen Tonteppich, was ein körperliches Rezeptionserlebnis garantieren soll. Van Sant setzt dagegen auf eine dissoziative Verwendung des Tons. Das schaffe Raum für Mehrdeutigkeiten und sei ein Versuch, die Komplettheit des Kinos zu unterlaufen.

Ein schönes Beispiel dafür findet sich in dem Film „Elephant“ an der Stelle, wo Van Sant einen Teil aus Wederkamps Arbeit „Beneath the Forest Floor“ benutzt: der Moment nach dem Massaker in der Highschool. Es handelt sich um den Gang eines Überlebenden durch ein Szenario der Verwüstung, vorbei an Leichen und panisch Flüchtenden. Wederkamps Stück besteht aus Tiergeräuschen im Dschungel, in dem die Stille immer wieder durch Vogelschreie und die Rufe eines Nagers irritiert wird. Die Bilder der Katastrophe werden durch diese Stille paradoxerweise verstärkt.

Man folgt dieser Szene wie in einem Schockzustand, der noch keine Urteile erlaubt.

DOMINIK KAMALZADEH