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Archiv-Artikel

Gourmetsenf war der Vater des Gedankens

Die „Leichenoper“ war zur Wendezeit ein beliebter Schwank in Ostberlin. Jetzt wurde das Stück von den Beteiligten wieder aufgeführt – in Spandau

Ein Wartburg steht neben dem Eingang zur Freilichtbühne. Ein schöner Wagen, so gepflegt, dass er als neu durchgehen könnte, wäre die Marke nicht bereits mit der DDR untergegangen.

Hier auf der Zitadelle Spandau, im äußersten Zipfel des alten Westens, wirkt das ehemalige Bonzenauto wie aus Zeit und Raum gefallen. Der ostalgische Retroschick des Fahrzeugs ist ein Verweis auf das an diesem Freitagabend hier zu erwartende Ereignis, die Premiere eines Stückes nämlich, das zur Wendezeit in Ostberlin Triumphe feierte.

„Der süße Duft kommt nicht von Rosen genannt Leichenoper“ lautet sein eigenwilliger Titel. Diese „Leichenoper“ entstand vor neunzehn Jahren, als seine Urheber noch Studenten an der Hochschule für Schauspiel Ernst Busch waren. Daniel Morgenroth, danach jahrelang Schauspieler am Deutschen Theater, schrieb den Text, Christoph Schambach, Kapellmeister am selben Theater, komponierte die Musik.

Morgenroth macht mittlerweile überwiegend Fernsehen, Schambach stellt außer Musik auch Senf her. Das darf nicht unerwähnt bleiben, denn der „Senfsalon“, den Schambachs Frau Merit vor einigen Jahren als Ich-AG gründete und in dem das Ehepaar selbst kreierten Gourmetsenf feilbietet, läuft mittlerweile so gut, dass die Schambachs es sich nun leisten können, als ihre eigenen Sponsoren die Produktion dieses Musikschauspiels zu finanzieren.

Um die 60 Mitwirkende zählt es, darunter ein Orchester und ein Chor, Profis und Amateure bunt durcheinander gemischt. Alle erhalten eine Gage.

Um es vorwegzunehmen: Die „Leichenoper“ ist ein Stück, dessen Relevanz sich aus heutiger (West?-)Perspektive nicht leicht erschließt. Doch es wird ein netter Abend. Wenn man im Theater Bier trinken darf – denn es handelt sich ja um ein Freilichttheater, und die Hitze macht durstig – lockt das auch Zielgruppen jenseits der üblichen Klientel an.

Man nimmt das Stück allgemein als Schwank, was ganz in Ordnung ist. Die Handlung an sich besteht im Wesentlichen darin, dass die Frau eines kleinen Beamten, nachdem dieser am Vorabend zechen war, in ihrem Wohnzimmer den toten Bürgermeister findet und dies als Zeichen für den unmittelbar bevorstehenden Aufstieg ihres Ehemanns zu begreifen beschließt. Aber was tun mit der Bürgermeisterleiche?

Im weiteren Stückverlauf wird die Beamtenwohnung nacheinander von zahlreichen Personen aufgesucht, die, im Stil einer Nummernrevue, als Personifizierung geflügelter Worte wie „Der kleine Unterschied“, „Der Vater der Gedanken“ oder „Die Angst im Nacken“ auftreten und moralisch gehaltvolle Texte über die Korrumpierbarkeit des Menschen singen. Dazu spielt das Orchester, von Christoph Schambach dirigiert, wirklich gut, auch der Chor gibt sein Bestes, und die auftretenden Solisten agieren unterschiedlich überzeugend.

Wo der Laie mangelndes Stimmvermögen mit großem Einsatz wieder ausgleicht, kann der Profi vor lauter Routine schon mal den Text vergessen. Das gibt dem Abend eine gewisse Spannung, denn man weiß nie, wie wohl die nächste Nummer wird. Julia Wegehaupt, die die ehrgeizige Beamtengattin verkörpert, ragt aus der Schar der Darsteller heraus und erweist sich nicht nur als gesanglich voll auf der Höhe, sondern spielt ihr komödiantisches Talent im Laufe der Vorstellung so richtig warm. Den Rang als Star des Abends laufen ihr höchstens die kleinen Schambach-Töchter Tanita und Dalina ab. Sie müssen alle Nummern ansagen, können alle Texte mitsingen und wirken nicht ein bisschen aufgeregt.

Dass man sich am Ende gut unterhalten fühlt, ist in erster Linie der ziemlich schmissigen Bühnenmusik und ihrer insgesamt gekonnten Darbietung zu verdanken. Der Text, obwohl nicht unintelligent, ist inhaltlich einem offensiv moralischen Zeigefingertheater verpflichtet, das heute leider schon von vorgestern ist.

So verweist das Stück vor allem auf jene Zeit und jenen Ort, kurz vor der Wende in Berlin-Hauptstadt-der-DDR, als es tatsächlich zunächst verboten wurde, nur weil es mit jenen ins Gericht ging, die für die Karriere über Leichen gehen. Kaum vorstellbar für Wessis in Spandau, fast zwanzig Jahre später. Aber wer will hier die Sinnfrage stellen, wenn der Abend so lau ist und das Bier so schön kühl.

KATHARINA GRANZIN

Nächste Vorstellungen am 14. und 15. 6. um 20.30 Uhr. Infos unter www.leichenoper.de