Straße des Antisemiten

Erstmals soll in Deutschland ein Straßenname mit einer warnenden Negativ-Legende versehen werden: Die Treitschkestraße in Hannover bleibt, bekommt aber den Zusatz „agitierte für eine totale Assimilation aller Juden“

VON KAI SCHÖNEBERG

„Blutvermischung“ und „Mischkultur“ waren für ihn ein „zersetzender“ Faktor, auf den das germanische Volksempfinden mit Abwehr reagieren müsse. „Die Juden sind unser Unglück“ schrieb Heinrich von Treitschke (1834 - 1896), erzkonservativer Historiker und Politiker, in einem Aufsatz und löste damit den Antisemitismusstreit aus, der in der Kaiserzeit den Judenhass in Wissenschaftler-Kreisen salonfähig machte. Das nationalsozialistische Hetzblatt Stürmer griff den Slogan in den 30er Jahren für seine Propaganda bereitwillig auf.

Obwohl von Treitschke immer noch umstritten ist, bleibt er immer noch in vielen deutschen Städten als Namensgeber von Straßen präsent. Im Berliner Bezirk Steglitz entschied sich im vergangenen Jahr eine Mehrheit aus CDU und Grünen gegen die Umbenennung der dortigen Treitschke-Straße, SPD und FDP wollten den Namen aus dem Straßenbild tilgen. Immerhin bekommt ein Platz in der Nähe den Namen des Historikers Harry Breslau, der sich im Antisemitismusstreit gegen Treitschke positioniert hatte.

Auch in Hannover, wo es seit 1938 eine Treitschkestraße gibt, verläuft die politische Debatte an völlig ungewöhnlichen Fronten: Hier streitet eine Koalition aus SPD und CDU im Bezirkstadtrat von Hannover-Nord derzeit für eine bislang in Deutschland wohl einzigartige Lösung. Der Name Treitschkestraße bleibt bestehen, aber er wird mit einem eindeutig mahnenden Legendentext versehen: „Historiker und national-konservativer Politiker, als Antisemit sehr umstritten, agitierte für die totale Assimilation aller Juden“.

„Wir sind die ersten, die mit einem Zusatz deutlich machen, dass man nicht immer unbedingt mit mit allem einverstanden sein muss, was der Namensgeber verbrochen hat“, sagt Detlev Schmidt-Lamontain, SPD-Fraktionschef im Bezirksstadtrat. „Treitschke war Humanist“, meint Schmidt-Lamontain. Zudem habe er „nicht aktiv den Völkermord betrieben“ und sei sogar „schändlich von den Nazis missbraucht worden“.

Außerdem hatte es vor der vorerst geplanten Umbenennung der 150 Meter langen Straße im Stadtteil Hainholz heftige Bürgerproteste gegeben: Die Anwohner beschwerten sich, dass sie bei einem neuen Namen auch neue Einträge in Ausweisen oder Visitenkarten benötigten. Schmidt-Lamontain fürchtet Klagen, falls es zu einer Umbenennung käme: „Die Stadt Hannover hat schon viele solcher Prozesse verloren“.

Treitschke war im vorvergangenen Jahrhundert bedingungsloser Verfechter der preußischen Staatsidee. Dem Nationalstaat standen seiner Meinung nach nicht nur die Sozialdemokraten, sondern auch Juden im Weg, wenn sie ihre eigene Identität und ihre Kultur behaupteten. Von Auslöschung der Juden ist beim Berliner Geschichtsprofessor und Abgeordneten der nationalliberalen Partei nichts zu lesen, gleichwohl wird Treitschke von Historikern als Vordenker des Holocaust im Dritten Reich angesehen. Gleichzeitig verweigerte er 1880 seine Unterschrift unter eine Antisemitismuspetition. „Dieser große Schriftsteller gilt gemeinhin als Antisemit, und das war er auch“, schreibt Golo Mann, Schriftsteller jüdischer Herkunft, 1960 in einem Aufsatz. „Dennoch hätten etwa die Nazis mit seinem Antisemitismus nichts anfangen können“.

„Es ist nicht sinnvoll, eine Person zu ehren, die so eine politische Denke hatte“, ärgert sich Bezirksratsherr Patrick Drenske, der mit seinem Grünen-Antrag den Namen Treitschke aus dem Stadtbild tilgen will. „Bürgerbedenken hätte es auch gegeben, wenn das Ding Adolf-Hitler-Straße geheißen hätte“, sagt Drenske. Den Grünen ärgert zudem, dass die SPD in der Treitschke-Frage aus der bestehenden Koalition mit den Grünen ausschert. „Ganz oder gar nicht“, sagt hingegen Christian Budde (FDP) über die „absurde Lösung“. „Wer“, fragt Budde, „will denn in einer Straße leben, die mit einem Antisemiten assoziiert wird?“