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Archiv-Artikel

Spaltpilz Schulpolitik

CDU und SPD streiten intern heftig über den zukünftigen Kurs in der Schulpolitik und versuchen dabei auch noch, sich gegenseitig vorzuführen. Im Mittelpunkt steht die Zukunft des Gymnasiums

„EINEN KONTRAPUNKT SETZEN“

Auch der Ring Christlich-demokratischer Studenten (RCDS) unterstützt die Volksinitiative „Wir wollen lernen“ für den Erhalt der Gymnasien ab Klasse 5. Die taz sprach mit dem Vorsitzenden Johannes Keßner.taz: Herr Keßner, das längere gemeinsame Lernen ist den Grünen eine Herzenssache. Was bezwecken Sie mit der Initiative? Eine Bekehrung der GAL? Eine Aufkündigung von Schwarz-Grün? Johannes Keßner: Nein. Ich bin der Meinung, dass der schwarz-grüne Primarschulkompromiss sehr vernünftig ist. Angesichts der Mehrheitverhältnisse. Unter einer Alleinregierung hätte die CDU das Zwei-Säulen-Modell eingeführt. Aber warum sammeln Sie dann Unterschriften dagegen? Weil jetzt gleichzeitig die Volksinitiative „Schule für alle“ startet. Wir wollen mit der Unterstützung der anderen Initiative eine gleichwertige Gegenöffentlichkeit schaffen. Es ist ein Diskussionsbeitrag. Die Grünen sind sehr demokratisch gesinnt. Sie müssten für Diskussionen Verständnis haben. Aber besagte Initiative will die Primarschule verhindern. Wenn viele Untergliederungen der CDU dabei sind, ist die Primarschule doch kein gemeinsames Projekt? Nein. Meines Erachtens steht die CDU klar zur Primarschule.  KAJ

VON MARCO CARINI

Die Situation ist angespannt. Hinter den Kulissen der beiden großen Volksparteien gibt es heftigen Zwist um die zukünftigen Weichenstellungen in der Schulpolitik. In der CDU kritisieren relevante Teile des Nachwuchses und der eigenen Bildungsexperten die von der schwarz-grünen Koalition geplante Einführung der Primarschule. Nicht wenige Christdemokraten liebäugeln gar ganz offen mit der Volksinitiative „Wir wollen lernen“, die den Koalitionskompromiss kippen will.

Währenddessen versucht die SPD mit zwei völlig gegensätzlichen Konzepten die schwarz-grüne Schulpolitik auseinander zu nehmen. Während Parteichef Ingo Egloff und Fraktionschef Michael Neumann die Gymnasien und das Elternwahlrecht retten wollen, sehen mehrere Kreisverbände und SPD-Bildungsexperten die Zeit gekommen, das Konzept der „Gemeinschaftsschule“ zu reaktivieren. Ein Modell, das die Gymnasien abschafft und das Elternwahlrecht mangels verschiedener Schulformen zu Grabe trägt.

Spätestens auf dem SPD-Parteitag am ersten Juli-Wochenende werden die Vertreter beider Lager aufeinander prallen – ungebremst, sollte es Parteichef Egloff nicht im Vorfeld gelingen, die Gräben durch einen Formelkompromiss zuzuschütten. Dass die Arbeitsgemeinschaft für Bildung (AFB) und der SPD-Kreisverband Harburg einen Antrag vorgelegt haben, der die Partei auffordert, die Volksinitiative „Eine Schule für alle“ und damit das gemeinsame Lernen bis Klasse zehn zu unterstützen, liegt Egloff schwer im Magen.

Denn bislang dürfen SPD-Funktionäre, wie etwa der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete und Ver.di-Chef Wolfgang Rose, nur als Privatmenschen die anti-gymnasiale Initiative unterstützen. „Die Spaltung in der Schulfrage läuft quer durch die Partei“, beklagt ein führender Sozialdemokrat.

Die Zerrissenheit der SPD versuchte sich die CDU am Mittwoch in der Bürgerschaft zu Nutze zu machen, wo sie das sozialdemokratische Schulwirrwar zum Debattenthema Nummer Eins erhob. „Sie sprechen sich gleichzeitig vehement für und gegen das Gymnasium aus“, brachte CDU-Bildungsexperte Marino Freistedt das sozialdemokratische Dilemma „tiefer Zerrissenheit“ auf den Punkt. Diese miteinander „unvereinbaren Positionen“ aber würden „Lehrer, Schüler und Eltern total verunsichern“.

Während SPD-Bildungsexperte Thies Rabe den innerparteilichen Zwist „zur gelebten Demokratie“ innerhalb der SPD verklärte, empfahl SPD-Chef Egloff der CDU, „vor der eigenen Tür zu kehren“. Die Angriffe gegen seine Partei, seien nur „der untaugliche Versuch, von der Debatte in ihrer eigenen Partei abzulenken“, warf er Freistedt vor.

Die egloffsche Vorwärtsverteidigung stößt dabei bei der CDU in eine offene Flanke. Denn in der Schulfrage sind die Reihen der CDU alles andere als fest geschlossen. „Keine anderes Thema löst in unserer Anhängerschaft soviel Widerstand aus, wie die geplante Einführung der Primarschule“, sagt ein CDU-Bürgerschaftsabgeordneter.

Gleich drei der sieben Kreisverbände der Jungen Union und der Ring Christlich demokratischer Studenten (RCDS) wollen sich der Volksinitiative „Wir wollen lernen“ anschließen und fallen damit der schwarz-grünen Koalition brutal in den Rücken. Auch CDU-Bildungsexperten wie der ehemalige bildungspolitische Sprecher der Fraktion, Robert Heinemann, opponieren im Hintergrund weiterhin beständig gegen die schwarz-grüne Schulreform.

Die anhaltende innerparteiliche Diskussion innerhalb der CDU führt auch in der Koalition zu ersten Spannungen. Dass der Bundestagsabgeordnete Marcus Weinberg (CDU) in der vergangenen Woche eine Diskussion zum geplanten Hamburger Schulmodell mit einem Vertreter der Volksinitiative „Wir wollen lernen“ veranstaltete, löst in der GAL „Befremden“ aus. „Das war am Rande der Koalitionsdisziplin“, ärgert sich ein führender GAL-Funktionär.