: Piraten beleben deutsche Eingreifdebatte
Darf Bundesmarine beim Anti-Terror-Einsatz vor Somalia Piraten jagen? Verteidigungsministerium fühlt sich behindert
BERLIN taz ■ Die Entführung zweier deutscher Urlauber auf ihrem Segelboot zwischen Somalia und Jemen am Montag hat eine neue Debatte über die Handlungsmöglichkeiten der Bundesmarine in dem unsicheren Seegebiet ausgelöst. Grundlage ist, dass dank des Anti-Terror-Mandats OEF (Operation Enduring Freedom) die deutsche Fregatte „Emden“ sowie 260 deutsche Soldaten an der Sicherung der Seewege am Horn von Afrika teilnehmen, aber nach geltender Befehlslage nicht für die Jagd auf immer zahlreicher werdende Piraten der Region zuständig sind.
Der UN-Sicherheitsrat hat hingegen am 2. Juni in der Resolution 1816 ein Mandat zur militärischen Piratenbekämpfung vor Somalia erteilt. Ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages über die Bedeutung der Resolution 1816 für den deutschen Einsatz vor Somalia kommt zum Schluss, es sei „möglich“, dass damit „eine Rechtsgrundlage für ein Handeln der Bundeswehr“ geschaffen worden ist.
Ob dafür eigens neue gesetzliche Bestimmungen nötig wären oder einfach die entsprechenden Befehle erteilt werden müssen, ist nun in Berlin umstritten. Verteidigungsstaatssekretär Thomas Kossendey (CDU) bemängelte gestern früh in der ARD, dass für Piratenjagd die Bundespolizei zuständig sei, nicht aber die Bundeswehr oder die Marine. „Das Ärgerliche ist, dass die, die die Mittel hätten und vor Ort sind, aus verfassungsrechtlichen Gründen daran gehindert sind“, sagte er. Im Augenblick des Überfalls dürfe die Marine zwar eingreifen, aber: „Sobald der Überfall abgeschlossen ist, wenn die Piraten mit dem Schiff abziehen und die Besatzung gefangen gesetzt haben, ist eine Verfolgung durch deutsche Marineeinheiten nicht mehr möglich“, behauptete er.
Rainer Stinner, Verteidigungsexperte der FDP, widersprach: „Die Marine hat rechtlich alle Befugnisse, die sie zur Bekämpfung der Piraterie braucht“, erklärte er. „Der Marine fehlt nur eins: der Befehl des Verteidigungsministers, dass sie handeln darf.“
Hinter dem Konflikt verbirgt sich der Wunsch der Union, ein Seesicherheitsgesetz zu schaffen und das Grundgesetz entsprechend zu ergänzen. Die Ausstattung der Marine mit polizeilichen Befugnissen würde so zum Hebel, die Bundeswehr mit polizeilichen Aufgaben auch im Innern zu versehen. Dies aber will auch die SPD verhindern und unterstützt deshalb die Idee, das OEF-Mandat am Horn von Afrika im Herbst möglicherweise um die Aufgabe der Piratenjagd zu ergänzen.
Völkerrechtlich sei die Bundesmarine durchaus befugt, „der Seeräuberei verdächtige Schiffe“ aufzubringen, heißt es in der am 23. Mai – also noch vor der UN-Resolution – verfassten Antwort der Regierung auf eine entsprechende Kleine Anfrage der FDP. „Ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen ein Schiff der Deutschen Marine von dieser völkerrechtlichen Befugnis Gebrauch machen kann, ist verfassungsrechtlich nicht abschließend geklärt“, heißt es aber weiter. ULRIKE WINKELMANN DOMINIC JOHNSON