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Archiv-Artikel

Anklägerin spielt Verteidigerin

Zum achten Mal befasst sich ein Gericht mit dem Tod eines unbewaffneten Einbrechers in Hamburg, dem ein Polizist in die Rücken schoss. Der Bundesgerichtshof sah, anders als das Hamburger Landgericht, „keinen Tötungsvorsatz“

Das Verfahren ist wohl einzigartig in der deutschen Rechtsgeschichte: Mit der Schwurgerichtskammer 22 des Hamburger Landgerichts befasst sich seit Mittwoch nun das achte Gericht mit einem polizeilichen Todesschuss von Heiligabend 2002.

Der 46-jährige Polizeibeamte Wolfgang Sch. hatte in Hamburg-Uhlenhorst einen flüchtenden Einbrecher erschossen. Das Landgericht Hamburg hatte Sch. dafür zuletzt Ende 2006 wegen Totschlags zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Doch der so genannte „Hamburger Senat“ des Bundesgerichtshofs (BGH) in Leipzig hob das Urteil mit Beschluss von 6. März 2008 teilweise auf.

Das macht die Sache für das jetzt damit befasste Gericht schwer. Denn die Feststellungen zum „objektiven Tathergang“ haben die BGH-Richter für rechtskräftig erklärt (taz berichtete). Demnach war Sch. und ein Kollege an jenem Abend im Streifenwagen „Peter 31/1“ mit der Vorgabe „Einbrecher am Werk“ zum Uhlenhorster Weg 55 gefahren. Sch. stürmte in das Haus und stieß im Flur auf Einbrecher Julio V. (25). Dieser flüchtete mit einem Sprung aus dem Fenster des zweiten Stocks in den Hof. Sch. schoss aus auf den Flüchtenden und traf ihn in den Rücken, als dieser sich gerade in der Hocke befand. Julio V. richtete sich noch auf, brach aber nach 20 Metern tot zusammen.

An der Version rüttelte der BGH nicht und stellte fest, dass es sich um „keine Notwehrsituation“ gehandelt habe, sondern dass Sch. bewusst auf V. geschossen habe, um die Flucht zu stoppen. Der BGH bemängelte vielmehr, dass der „Tötungsvorsatz“ nicht belegt sei. Denn wenn Sch. Julio V. hätte töten wollen, hätte er, als sich V. noch einmal aufrappelte, einen zweiten Schuss abgegeben. Zudem habe sich Sch. direkt nach der Tat betroffen gezeigt und zu Kollegen gesagt: „Da trainiert man immer wieder auf dem Schießstand und trifft fast nie, und nun reicht ein Schuss“.

Hier setzt Sch.s jüngste Verteidigungsstrategie an. Er habe eine flüchtenden Person wahrgenommen, die auf ihn gezielt habe. „Den, den ich getroffenen habe, habe ich gar nicht wahrgenommen“, sagt Sch. Auch Staatsanwältin Dorothea Fellows spricht in ihrem Plädoyer von falscher Wahrnehmung und einem Irrtum, der zu Sorgfaltspflicht-Verletzung geführt habe. Fellows plädiert auf fahrlässige Tötung und beantragt eine sechsmonatige Bewährungsstrafe, die eine Rückkehr zur Polizei möglich macht.

„Es ist ärgerlich, dass die Staatsanwaltschaft eine Verteidigerrede gehalten hat“, sagt der Nebenklagevertreter Manfred Getzmann. Sch. habe im Übereifer gehandelt und bewusst Vorschriften verletzt. So habe er weder „Halt! Stehen bleiben, Polizei!“ gerufen, noch einen Warnschuss abgegeben. „Ein Polizist weiß, was passiert, wenn er aus geringer Entfernung schießt“, sagt Getzmann. Er beantragt eine Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung mit Todesfolge. Das Urteil wird Montag verkündet. KAI VON APPEN