: Wohnen als Nebenwiderspruch
Familien sind für das Wohnen in der Überseestadt nicht mit eingeplant - laut einer Studie gibt es hier aber Bedarf. Eine weitere Befürchtung: die Todgeburt des Gebietes durch zu hohe Mietpreise
VON CHRIS RUSCHIN
Viele Wohnungsinteressenten der Überseestadt haben mindestens ein Kind oder wohnen in Mehrfamilienhaushalten. Das ergab die Pilotstudie „Wohnen in der Überseestadt“ des Beratungsunternehmens nextpractice und der Bremer Uni. Besonders Beschäftige aus der kreativen Industrie finden die Überseestadt als Wohnort attraktiv. Der Pärchen- und Elternanteil dieser Gruppe übersteigt die Anzahl der Singles laut Studie deutlich.
Ziel der Studie sei es gewesen, erläutert nextpractice-Geschäftsführer Peter Kruse, herauszufinden, was die Überseestadt für die Menschen bedeutet. Dazu wurden 107 Personen quer durch alle Alters- und Berufsklassen ausführlich interviewt. Die Umfrage sei zwar nicht repräsentativ, lasse aber Tendenzen klar erkennen.
Skeptisch reagierte die Baupolitikerin Karin Krusche (Grüne). Die Überseestadt sei als Wohngebiet geplant, „das sich ausdrücklich nicht an Familien wendet“. Städtische Einrichtungen wie Kindergärten seien dort nicht vorgesehen. Sie verwies jedoch auf eine vorhandene Grundschule und Kindergärten im benachbarten Walle.
Kruse zufolge hat sich die Einstellung der Bremer Bürger zur Überseestadt gewandelt. Das Gebiet sei vormals noch ein „Symbol für Niedergang“ gewesen, nun werde es als „Symbol für Entwicklungskraft im Sinne von Kreativität, neuen Formen von Arbeiten und Wohnung“ betrachtet. Hier sieht der Geschäftsführer ein riesiges Vermarktungspotenzial für Bremen, gerade auch im Bezug auf den stärker werdenden Wettbewerb aller Städte um Einwohner und qualifizierte Menschen. „Wir werden uns noch prügeln um die, die etwas vorhaben“, sagt Kruse. Ein „Gigantenthema“ in den Agenturen sei die Frage, wie sich Arbeits- und Lebensräume verbinden lassen. Das sei „ein Trend, den man bedienen muss“.
Seit dem Jahr 2000 integriert der Masterplan des Senats auch Mischformen aus Wohn- und Arbeitswelten. Fürs Wohnen sind dabei nur geringe Flächen vorgesehen. Das liegt vor allem am Lärm, der Geruchsbelästigung und dem Feinstaub, die eine Ausweisung großflächiger Wohngebiete in der Überseestadt unmöglich machen.
Die dort angesiedelte Industrie befürchtet Immissionsschutzklagen der künftigen Büro- und Wohnmieter. Denn anders als bei der Hafen City in Hamburg bleiben in der Überseestadt industrielle Strukturen erhalten: Von den 300 Hektar Fläche sind der Bremer Investitionsgesellschaft (BIG) zufolge 200 bereits mit Altbestand belegt. Die Studie verdeutlicht zudem, dass die Interessengruppe zu hohe Mieten befürchtet. Diese Bedenken liegen nahe, weil zu den Kreativen auch viele Beschäftigte in prekären Arbeitsverhältnissen zählen.
Die Mietkosten der Büro- und Wohnbauprojekte an der Hafenkante liegen noch nicht fest. Die günstigsten Wohnungsmieten des Projektes „Weserufer“ am Eingang zum Europahafen werden von der verantwortlichen Immobilienfirma Justus Grosse derzeit auf etwa zehn Euro pro Quadratmeter geschätzt.
Man müsse eben schauen, was sich „in der zweiten Reihe“ entwickelt, sagt Krusche. Sie schlägt vor, dass „sich die Investoren mit den zukünftigen Bewohnern zusammensetzen“. Das Gleiche rät nextpractice: Die Einbeziehung der creative class, so Kruse, könne den Stadtteil „lebendig und urban gestalten“.