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: Die Soldaten ziehen als Halbtote in Richtung Hades, Camille gelangt zur anderen Seite des Flusses

Auf den Flügeln des Gesanges schwebt Serge Bozons Film „La France“ (2007) vom Kriegsfilm zum Musical

Frauen laufen einen Abhang hinunter, eine stürzt, eine andere hilft ihr auf. Mit diesen zunächst gar nicht einzuordnenden Bildern beginnt der als Schauspieler bekannt gewordene Serge Bozon seinen zweiten langen Spielfilm „La France“. Der Frau, die gestürzt ist, liest gleich darauf einer anderen Frau, die dabei sehr eifersüchtig klingt, einen Brief vor. Die Frau, die gestürzt ist, heißt Camille und in dem Brief erklärt ihr Mann François, der im Krieg ist (es ist das Jahr 1917), sie werde ihn niemals wiedersehen. Camille (zu allem entschlossen: Sylvie Testud) findet sich damit nicht ab. Sie verkleidet sich als Junge und macht sich auf an die Front, um François zu suchen.

Erst findet Camille einen seltsam versprengten Haufen Soldaten, angeführt von Le Lieutenant (Pascal Greggory). Sie nehmen ihr den Geschlechtswandel ab, Camille heißt weiter Camille, nun als Junge. Le Lieutenant und seine Männer wollen sie dennoch loswerden – was nicht gelingt. Fortan zieht der Soldatentrupp mit Camille durch die Landschaft, auf der Suche nach, wie sie sagen, „La douce“. Camille weiß nicht, wer diese „Süße“ ist, und erfährt es auf der Brücke über den Fluss: dies ist „la douce“. Als die Soldaten sich erneut von Camille trennen wollen, springt sie hinein in „la douce“ und treibt wie tot davon.

„La France“ ist ein Kriegs-Roadmovie in der Weglosigkeit. Man sieht Episoden wie diese: Einer der Soldaten liest Camille aus seinem literarischen Notizbuch vor, ein anderer erzählt ihr von Philippe, der nicht mehr bei ihnen ist und ein Träumer war. Einmal wird Camille einen deutschen Soldaten auf einem Wachtturm töten. In einer so unheimlichen wie betörenden Szene ducken sich Camille und die Männer auf einem Floß, und es sieht aus wie auf Gemälden alter Meister. Später wird ein Mann, bei dem sie Unterschlupf finden, Camilles wahres Geschlecht erkennen und sie zu vergewaltigen versuchen.

Gewalt und Tod sind, auf die eine oder andere Weise, im Film immer präsent. Camille aber ist und bleibt die Todesverachtung selbst. So inszeniert Bozon die französische Landschaft, die seine Figuren durchqueren, als eine Art Totenreich, und „la douce“ ist zugleich der Totenfluss Styx. Während die Soldaten aber als Halbtote oder Tote in Richtung Hades weiterziehen, findet Camille jenseits des Flusses das, was sie sucht.

Der Titel „La France“ klingt erst einmal maßlos für einen Film, der nichts zeigt als Camille und Soldaten bei Nacht und am Tag. Wichtiger als die Nation scheint aber ihre Geschlechtermarkierung: La France ist so weiblich wie „la douce“ und wird durchquert von Männern, unter die sich eine als Mann verkleidete Frau schleicht, die ihren Mann sucht. Die Männer träumen von Atlantis, der versunkenen Stadt unter dem Meer. Die Männer, Soldaten im Krieg, holen mehrmals im Film Instrumente hervor aus dem Nichts. Diese Instrumente – ein kleines Klavier ist auch darunter, einmal mitten im Wald – sehen selbst gebastelt aus, die Lieder klingen und sind selbst gesungen von den Darstellern, die – wirklich wahr – im richtigen Leben zum großen Teil nicht Schauspieler, sondern Filmkritiker sind.

So wird „La France“ auf Flügeln des Gesanges vom Kriegsfilm zum Musical, die weibliche Durchkreuzung, wenn man so will, eines zutiefst männlichen Genres. Auch das Drehbuch zum Film stammt von einer Frau, nämlich von Serge Bozons Lebensgefährtin Axelle Ropert. Die oft schwindelerregend schönen Bilder von uniformierten Männern in tiefer Nacht hat die Kamerafrau Céline Bozon gemacht, Serge Bozons Schwester. Ein Weiteres kommt verstörend hinzu. Die Männer singen Liebeslieder, deren Texte Serge Bozon verfasst hat. Diese Liebeslieder klagen und sehnen durchweg aus weiblicher Perspektive und machen so die wundersame Genderverwirrung komplett. Musikalisch sind sie nach britischem Sixties-Pop mit Harmoniegesang modelliert, im Abspann hört man Robbie Curtice’ und Tom Paynes Song „Gospel Lane“. Das passt gut, denkt man erst, zu Bozons mittellangem Film „Mods“, den man auch – wenngleich leider ohne Untertitel – auf der DVD findet. Der ist dann wiederum, wie „La France“, ganz bezaubernd, aber anders als man erwartet.

EKKEHARD KNÖRER

Die DVD ist in Frankreich erschienen, englisch untertitelt und via www.amazon.fr für rund 20 € zu bestellen