Öfter im Ausland

Das Cinemalaya Festival in Manila präsentiert das philippinische Independent-Kino. Internationale Erfolge können nicht darüber hinwegtäuschen, dass dessen Werke zu Hause nicht zu sehen sind

VON TILMAN BAUMGÄRTEL

Das Kino der Philippinen hat sich in den letzten Jahren zum Festivalliebling entwickelt. So lief Brillante Mendozas „Serbis“ (Service) über einen Tag in einem schwulen Pornokino etwa im Wettbewerb von Cannes, und in der Cinematheque von Paris findet zurzeit eine erste internationale Retrospektive des philippinischen Independent-Kinos statt. Viele sehen die Philippinen nach Korea und Thailand als das Nächste Große Ding im internationalen Arthouse-Kino.

Auslöser der explosionsartigen Zunahme von bemerkenswerten Indie-Produktionen von den Philippinen ist das digitale Video. In keinem anderen Land Südostasiens war die Einführung von Digitalvideo so folgenreich wie auf den Philippinen, die über eine der reichsten Kinotraditionen in Asien verfügen.

In der Nachkriegszeit hatten die Philippinen nach den USA und Indien international die drittgrößte Filmindustrie. Dann machten das Fernsehen, Konkurrenz aus Hollywood, heftige Steuern auf Gewinne aus Kinoproduktionen und Piraterie Filmproduktionen zum Verlustgeschäft.

Einer der Auslöser der nun entstandenen Neuen Welle von Indie-Filmen ist das Cinemalaya Festival, das in der vergangenen Woche zum dritten Mal in Manila stattfand. Cinemalaya unterscheidet sich von anderen Filmfestivals dadurch, dass es die acht Filme, die im Wettbewerb gezeigt werden, selbst produziert. So hat das Festival eine Reihe von Filmen hervorgebracht, die bei Festivals in der ganzen Welt gezeigt wurden, in den lokalen Kinos aber kaum eine Chance haben.

So ist die absurde Situation entstanden, dass die Filme, die eigentlich produziert wurden, um dem philippinischen Kino aus der Krise zu helfen, öfter im Ausland als zu Hause zu sehen sind. Ein Beispiel dafür ist der Wettbewerbssieger des vergangen Jahres: „Tribu“ (Stämme), ein Film über Ghettogangs, der Anfang des nächsten Jahres sogar in Deutschland ins Kino kommen soll. Auf den Philippinen hat der Film keinen Verleiher gefunden. Regisseur Jim Libiran arbeitet trotzdem unverdrossen bereits am Nachfolger, einem Film über Straßenfußball.

In diesem Jahr war unter den acht Festivalfilmen kein Nachfolger für diesen Erfolg auszumachen. Der mit Spannung erwartete „My fake American accent“, ein Film über die rasant wachsende Kaste der Callcenter-Telefonisten auf den Philippinen, enttäuschte durch technische Mängel und ein wirres Drehbuch. Ansonsten dominierten solide gemachte Arbeiten wie die Mediensatire „Jay“ von Francis Xavier Pasion, in dem der Mord an einem homosexuellen Lehrer zu einem makaberen TV-Spektakel ausgeschlachtet wird, oder Tara Illenbergers „Brutus“ über Kinder, die sich als Schmuggler von illegal gefälltem Tropenholz verdingen müssen. „Jay“ wurde von einer internationalen Jury zum besten Film gewählt, „Brutus“ erhielt den Preis für die beste Regie.

Dass es in der dritten Ausgabe von Cinemalaya an filmischen Höhepunkten fehlt, mag genau an der Organisationsform des Festivals liegen. Die Jury wählt Drehbücher aus, und so entstehen Filme mit Geschichten, die auf Papier überzeugen. Die experimentellen, oft wild improvisierten Werke von Regisseuren wie Khavn de la Cruz, John Torres oder Lav Diaz, die den Eindruck des philippinischen Indie-Kinos im Ausland prägen, haben da wenig Chancen. So hat das Festival quasi sein eigenes Genre geschaffen: Filme, die zu anspruchsvoll sind, um im heimischen Kino gezeigt zu werden, aber nicht außergewöhnlich oder „exotisch“ genug, um im Ausland zu reüssieren. Eine Lösung dieses Dilemmas sehen viele in der Produktion von DVDs. Ein Problem dabei: Was auf DVD erscheint, wird umgehend von Videopiraten angeboten.

Wozu das Kino der Philippinen einst in der Lage war, zeigt ein Buch über Manuel Conde, das während des Festivals vorgestellt wurde. Es ist die erste groß angelegte Monografie über einen philippinischen Regisseur. Ihm gelang es einst, Publikumserfolg und anspruchsvolle Themen zu vereinen.

Conde begann seine Karriere mit Verfilmungen von philippinischen und internationalen Volkssagen, zu denen unter anderem eine Adaption der Nibelungen unter dem Titel „Sigfredo“ (1950) gehört! Sein an Eisenstein gemahnender „Ghengis Khan“ (1950) war der erste philippinische Film, der bei einem internationalen Festival – in Venedig – gezeigt wurde. Der amerikanische Filmkritiker James Agee war von dem Low-Budget-Film, der seine monumentale Wirkung Condes brillanter Kameraarbeit und Montage verdankt, so begeistert, dass er eine englische Narration schreib, mit der der Film international verliehen wurde.

Mit seinen Filmen über die philippinische Folklore-Gestalt Juan Tamad hatte Conde in den späten 50ern seine größten Erfolge. Tamad ist ein philippinischer Oblomov, der so faul ist, dass er lieber unter dem Guavebaum ein Nickerchen macht, bis eine Frucht herunterfällt, statt selbst eine zu pflücken. In seinen Filmsatiren machte Conde aus Tamad einen Politiker, der die Korruption und Inkompetenz der politischen Klasse bloßstellt. Tamad hält Wahlreden auf dem Friedhof, weil zur Wahlmanipulation auf den Philippinen oft Verstorbene ins Wahlregister eingetragen werden, und kauft Stimmen auf dem Wochenmarkt, wo diese neben Reiskuchen und Mangos angeboten werden. Nachdem er erfolgreich in den Kongress eingezogen ist, verbringt er seine Zeit mit Kartenspielen und dem Einsammeln von Geldgeschenken, bis ihn seine enttäuschten Wähler aus dem Amt jagen.

Kritiker betrachten die Juan-Tamad-Serie heute als die beste Kinokomödie der Philippinen. Doch sehen kann man sie leider nicht mehr. Wegen des tropischen Wetters, dem Fehlen eines Filmarchivs und nicht zuletzt dank schlichtem Desinteresse haben sie sich irgendwann in Essig aufgelöst und sind heute – wie viele andere Filme aus den 50er Jahren – ein Stück verlorener philippinischer Filmgeschichte, von dem nur die Produktionsfotos in der opulent illustrierten Monografie geblieben sind.