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Archiv-Artikel

So ’ne Gier nach Glück

In „Der Mond und andere Liebhaber“ von Bernd Böhlich brilliert Katharina Thalbach als ein Bündel von Widersprüchen

Bernd Böhlich bringt seine Filme gerne mit dem Kehrreim eines Liedes auf den Punkt: „So ’ne kleine Frau und so ’ne Gier nach Glück“ singt diesmal die Frontfrau der Ex-DDR-Band Silly und die Zeile aus den 80er Jahren passt so genau, als wäre sie extra für den Film geschrieben worden.

Böhlichs Publikumserfolg von 2007 hieß ja nicht nur „Du bist nicht allein“, sondern die Szene, in der Axel Prahl den Schlager von Roy Black singt, war auch dessen einziger wirklich mitreißender Moment. Alles andere führte nur zu ihm hin und wieder von ihm weg. Aber dieses eine, in sich geschlossene Minidrama gehört zu den besten Sequenzen des deutschen Kinos der letzten Zeit.

So ist Böhlichs Vorliebe für die kleine Form des Schlagers nicht nur seine Marotte, sondern gibt auch einen Hinweis auf seinen Stil. Der große erzählerische Bogen ist nicht seine Sache. Stattdessen reiht er lieber kleine, in sich geschlossenen Geschichten aneinander, die oft auch nicht viel länger dauern als ein Liedchen im Radio.

In „Der Mond und andere Liebhaber“ steht nun allerdings nicht nur eine Schnulze im Zentrum, sondern Böhlich schöpft aus dem Vollen und stürzt dabei seine Protagonistin in eine fast schon absurd anmutende Abfolge von tragikomischen Abenteuern. Wie muss diese Frau sich abstrampeln, um sowohl im Liebes- wie auch im Berufsleben zu bestehen. Mit Zitaten von Biermann (“Das kann doch nicht alles gewesen sein“) und Fassbinder (“Schlafen kann ich, wenn ich tot bin“) stürzt sie sich ohne Rücksicht auf Verluste ins Leben und wenn sie spektakulär scheitert, versucht sie diesem auch rigoros ein Ende zu setzten. Wenn ihre versuchte Strangulation dann in einem Wasserrohrbruch endet, droht der Film zu einer Groteske zu werden und bei einer ihrer späteren Katastrophen schleicht sich gar der Verdacht ein, Böhlich habe sich dabei von dem Kalauer „Lieber arm dran als Arm ab“ inspirieren lassen.

Und dennoch fügen sich all diese Episoden zu einer erstaunlich anrührenden Einheit, denn im Mittelpunkt steht immer jene „kleine Frau“ Hanna, mit der Böhlich einen im besten Sinne des Wortes merkwürdigen Charakter geschaffen hat. Bei ihrer kompromisslosen Suche nach dem Glück handelt sie nie selbstsüchtig, verhärtet nicht und behält in fast allen Dialogen nicht nur das letzte, sondern auch das beste Wort. Egal ob gleich in der ersten Sequenz des Films ihre langjährige Arbeitsstelle, eine Parfümfabrik, als Pleitebetrieb buchstäblich in die Luft geht, ob sie in einer Tombola eine Reise in die Türkei gewinnt und es dort nur regnet, und ob sie in einen Marktverkäufer aus Kaschmir ihre große Liebe findet, an der sie schließlich fast krepiert - bei all dem verliert sie weder ihre Würde noch ihren ganz eigenen Witz.

So ist dies zwangläufig ein Soloalbum von Katharina Thalbach, die (von einer kurzen Sequenz abgesehen) in jeder Einstellung des Films präsent ist, dieser also im Grunde in der Ich-Form erzählt. Böhlich verlangt ihr viel ab, denn sie muss zugleich stark und verletzlich, stur und mitfühlend, rigoros und voller Sehnsucht sein. Irgendwie gelingt es ihr, dieses Bündel an Widersprüchen zu einer glaubwürdigen und sympathischen Figur zusammenzufügen, bei der man ihre schauspielerische Virtuosität schnell vergisst. Birol Ünel und Fritzi Haberlandt werden da bei allem Können an die Wand gespielt.

Manchmal übertreibt es Böhlich mit der Tristesse seines sächsischen Mikrokosmos, aber bei seinem erfrischend derben Humor steht wohl kaum zu befürchten, dass in einem seiner Filme “Sind so kleine Hände...“ von Bettina Wegener erklingen wird.

Wilfried Hippen