: Toledo sehen und kein Schwert kaufen
Zeitreise und Gesellschaftskunde in einem: In Toledo, der früheren Residenzstadt der spanischen Könige lässt sich nachspüren, wie verschiedene Religionen und Kulturen mit- und nebeneinander lebten. Heute zeugen nur noch die Bauwerke von einer einzigartigen Nachbarschaft
Toledo liegt südöstlich von Madrid am Fluss Tajo und hat mehr als 70.000 Bewohner – bei steigender Tendenz. Geprägt ist die Stadt von ihrer Vergangenheit: Im Jahre 712 wurde sie von den Mauren erobert und stieg unter deren Herrschaft zum Zentrum der Schwertschmiedekunst und der Übersetzung arabischer Texte ins Lateinische und Romanische auf. Nach der Rückeroberung unter dem König Alfonso VI wurde Toledo zur Residenz des Königreichs Kastilien. Die Altstadt Toledos mit ihrer Kathedrale, der Königsresidenz Alcázar, vielen Kirchen und Museen hat die UNESCO 1977 zum Weltkulturerbe erklärt. Heute ist Toledo Hauptstadt der gleichnamigen spanischen Provinz und der autonomen Region Kastilien-La Mancha, sowie Sitz eines Erzbistums. GRÄ
Ich hatte mir den Spanien-Urlaub anders vorgestellt. Einfacher. Ich hatte einen alten Bekannten treffen wollen, der unauffindbar blieb und mein Gepäck behielt die Fluglinie zwei Tage bei sich. Deshalb lief ich in langen Hosen durch glühende Hitze und deshalb verständigte ich mich mangels Wörterbuch mit Händen und Füßen. Im Restaurant bestellte ich nach dem Zufallsprinzip und landete bei einem Fleischteller, der so aussah, als habe man ein Massaker unter Kleinechsen angerichtet und die Überreste dem Koch geschenkt. Danach ging ich häufiger zu einer Art Kantine, wo man das Essen sah, bevor man es bestellte. Einmal fuhr ich mit einer Bergbahn einen staubigen Berg hoch und wieder hinunter. Ich sah Bauarbeiter, die riesige Strohhüte trugen und Touristen, die zu wenig anhatten. Schön war es, die Märkte im Einwandererviertel zu besuchen und die kleinen Läden mit Schnickschnack und, natürlich, den Prado.
Sonderbarerweise gab es keine Schlangen vor der Velazquez-Abteilung und so konnte man in aller Ruhe die Königsfamilie betrachten, die blassen Kinder, den fülligen Vater und die gleichermaßen hässlich wie energisch aussehende Königin. Vermutlich hätten sie wenig interessiert, hätte ich nicht Feuchtwangers „Goya“ gelesen, danach erscheint einem die Königsfamilie wie Bekannte, die man selten treffen möchte, aber über die man gerne neue, abstruse Geschichten hört. Hätte ich nicht nach „Goya“ noch „Die Jüdin von Toledo“ gelesen, müsste man diese Reise jedoch einen Fehlschlag nennen, Prado hin oder her.
Es ist ein großartiges Buch, das von der Liebe des Königs Alfonso VIII. von Kastilien zu der Jüdin Raquel handelt, das Ganze vor dem Hintergrund der Reconquista. Man fällt beim Lesen in diese Zeit, in dieses 12. Jahrhundert, wo Juden, Muslime und Christen gewollt und ungewollt in engsten Kontakt traten. Und dabei erlebt man die Reibungen und die Reichtümer einer Zuwanderungsgesellschaft, aber einer solchen, in der die Frage, ob ein Kind getauft wird oder nicht eine Frage auf Leben und Tod ist.
Es ist erhellend, dieses Buch zu lesen. Es führte mich nach Toledo, das man von Madrid aus in gerade mal einer Stunde mit dem Zug erreicht. Mein Reiseführer lag noch in meinem Koffer auf irgendeinem europäischen Flughafen, deshalb war es mir nicht möglich, die Sehenswürdigkeiten geordnet abzuklappern. Aber das ist auch das Letzte, was man hier tun sollte. Es genügt vollständig, den gewundenen Weg zur Stadt hinaufzugehen, die wie ein Falke auf dem Berg sitzt, im Abendlicht, wenn die Tagestouristen schon wieder weg sind. Man läuft durch die schmalen steinernen Gassen, die die Häuser noch höher wirken lassen, als sie es ohnehin sind und irgendwann, wenn man oben angelangt ist, sieht man hinab auf das schmale Rinnsal von Fluss, das der Sommer vom Tajo übrig lässt.
Man braucht auch keinen Reiseführer, um den Alcázar zu finden, der einmal Residenz der spanischen Könige war, ein riesiger Trumm, der mehr Festung denn Palast ist. Heute ist darin die Regionalbibliothek, nur in den Gängen blicken einen die Monarchen meist düster und zuweilen debil an und es ist ein erfreulicher Gedanke, ihrer Willkür nicht länger ausgesetzt zu sein.
Dass Toledo seine Blütezeit unter den Mauren erlebte, kann man an den vielen Schwerterläden sehen. Niemand weiß, wie viele Touristen ein Schwert für das beste Mitbringsel halten, aber sicher ist, dass die Stadt damals für ihre Schwertkunst berühmt war. Und, im Rückblick, für ihr Miteinander: Zwei mittelalterliche Synagogen kann man noch besuchen. Nach der Vertreibung der Juden nutzte man sie als Kirchen. FRIEDERIKE GRÄFF